Seien Sie meinungsstark!

Ein Punktum
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Meinungsstärke gilt als als Tugend. Dabei gibt es immer noch Wesen, die ihre Meinungslosigkeit in einem konkreten Fall damit begründen, sie hätten von der Sache keine Ahnung. Unser Mitleid ist ihnen sicher. Vergessen wir sie.

Meinungsstärke gilt als als Tugend. Vielleicht stammt diese Hochschätzung aus Zeiten, in denen viele Menschen die Frage nach ihrer Meinung noch mit einem "Was weiß ich" beantworteten. Oder aus entfernterer Vergangenheit, in der es das Privileg Weniger war, eine Meinung zu haben.

Natürlich gibt es immer noch Wesen, die ihre Meinungslosigkeit in einem konkreten Fall damit begründen, sie hätten von der Sache keine Ahnung. Unser Mitleid ist ihnen sicher. Vergessen wir sie. Oder, wenn sie als Meinungsträger gebraucht werden: überzeugen wir sie. Wer überzeugt ist, empfindet die frisch übernommene Meinung nicht als Bürde. Zwar ist es richtig: Man soll von einer Sache Ahnung haben, bevor man sich eine Meinung bildet. Aber was heißt das? Ahnung darf man doch nicht mit Wissen verwechseln! Es handelt sich um ein Bauchgefühl. Da ist Verlass drauf. Wenn es zu Kopfe steigt, umso besser.

Vor einiger Zeit war von einer Untersuchung zu lesen, nach der amerikanische Schüler nur in einer Disziplin weltweit führend sind: im Selbstbewusstsein. Wer sagt, die Amerikaner marschierten nicht mehr an der Spitze der Moderne? Selbstbewusstsein ist ohne Zweifel die Königsdisziplin, wenn es um Karriere und Erfolg geht - natürlich in angesagter Weise demonstriert, also auch mit den zur Zeit gängigen Meinungen unter- und überfüttert.

Auch in Deutschland geht es damit voran. Nehmen Sie zum Beispiel die eloquenten Zwölfjährigen, die, von eifrigen Fernsehreportern zu Problemen befragt, an denen sich früher Philosophen die Zähne ausbissen. Die Kids erweisen sich als überraschend kompetent, indem sie wortreich eine Mainstream-Meinung vorbringen. Auch Experten bringen es heute selten weiter.

Man fragt sich natürlich, woher all die starken Meinungen stammen. Karl Valentin sprach einmal in einem seiner Sketche von der "Errögung öffentlicher Süttlichkeit". Die Sittlichkeit ist zwar perdu, aber die öffentliche Erregung ist der Schlüssel. Wirklich stark werden Meinungen nur, wo eine Sache die Öffentlichkeit bewegt. Mein Ratschlag: In einer solchen Situation bloß nicht einem/einer Meinungsathleth/en/in mit Einwänden kommen, die Prüfung oder Nachdenken erfordern! Damit manöverieren Sie sich unweigerlich ins Abseits. Richtig ist: eine Gegenmeinung möglichst stark vorbringen. Das belebt die Debatte. Wenn Sie mit ein paar Ausflügen in das, was ohnehin alle denken, aber nicht sagen, für einen Überraschungsfaktor sorgen, haben Sie gar beste Aussichten, zum "Querdenker" zu avancieren. Viel Glück!

Helmut Kremers

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