Die Zeit wird knapp

Massenarbeitslosigkeit wird verschwinden. Doch das schafft neue Probleme
Leyla, eine Arbeitnehmerin der Zukunft. Szene aus einem Theaterstück in der Dortmunder DASA. Foto: DASA/Harald Hoffmann
Leyla, eine Arbeitnehmerin der Zukunft. Szene aus einem Theaterstück in der Dortmunder DASA. Foto: DASA/Harald Hoffmann
Gut qualifizierte Arbeitnehmer der Zukunft müssen sich offenbar keine Sorgen machen. Sie werden unter einer Vielzahl von freien Stellen auswählen können, die Löhne dürften steigen. Allerdings auch der Druck. Und am unteren Ende des Arbeitsmarktes werden die McJobber um ein ausreichendes Einkommen kämpfen müssen.

Die Geschichte beginnt, wie so viele Geschichten beginnen. Ein Mann und eine Frau begegnen sich. Genauer gesagt, eine junge Frau, Leyla, und ein deutlich älterer Mann, Rolf. Er zeigt ihr seinen Arbeitsplatz, eine Leitwarte zur Steuerung eines Kraftwerkes. Er hatte kein Problem, sie mit herzubringen, selbst ihr scheinbar exzentrisches Outfit - rotbrauner Glanzoverall, silberne Haube - stört hier niemanden. Wen sollte es auch stören? Kollegen, Chefs, Sicherheitskräfte - das alles gibt es hier nicht mehr. Denn die Leitwarte steht nicht mehr in dem Kraftwerk, in dem Rolf jahrzehntelang gearbeitet hat, sondern in einem Museum.

Hier hängt der Frührentner Rolf seinen Erinnerungen nach und hier trifft er auf Leyla, die Journalistin aus der Zukunft, die es durch einen technischen Defekt aus dem Jahr 2026 plötzlich in die Gegenwart verschlagen hat. Sie kennt nur noch virtuelle Arbeitsplätze, verkauft ihre Arbeitskraft nicht mehr einem menschlichen Gegenüber, sondern sucht sich ihre Aufträge im Internet. Nicht nur Mann und Frau begegnen sich, sondern zwei Arbeitswelten aus zwei Epochen.

Entfremdung wächst

Alles nur Theater. Eine inszenierte Führung durch die Arbeitswelt-Ausstellung der DASA, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. Rolf und Leyla sind zwei Figuren in einem Stück, das das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel für die DASA entwickelt hat und das hier regelmäßig zu sehen ist. "Die Aufgabe war, die Besucher durch das Theater mit der Ausstellung vertraut zu machen", sagt Regisseur Christian Scholze. Aber dabei sollte es eben nicht nur um die Arbeitswelten der Vergangenheit gehen, sondern auch um die der Zukunft.

Ein zentrales Thema, das Scholze und die Schauspieler dabei besonders beschäftigt hat, ist die zunehmende Entfremdung des Arbeiters von seiner Arbeit. "Wir erleben eine ständig zunehmende Technisierung der Arbeit und das macht es schwierig, einen persönlichen Bezug aufrecht zu erhalten", sagt Scholze. Der starke emotionale Bezug, den Rolf zu seiner Arbeit hatte und der ihn immer wieder ins Museum gehen lässt, ist Leyla fremd. Sie ist eine Arbeitsnomadin. Und von denen werde es künftig gerade in den Kreativberufen immer mehr geben, meint Scholze.

Frührenter werden Geschichte

Soweit die Fiktion. Doch was davon wird Realität? Wie wird die Arbeitswelt in Deutschland in zwei Jahrzehnten aussehen? Bei allen Unsicherheiten von Prognosen ist zumindest eines klar: An Frührentner wie Rolf wird man sich nur noch in Museen erinnern. Denn dieses für die Unternehmen günstige und für die Sozialkasse teure Instrument des vorzeitigen Ruhestandes wird Vergangenheit sein, weil die Massenarbeitslosigkeit verschwunden ist. "Wenn exter- ne Schocks wie die zurückliegende Wirtschaftskrise ausbleiben, stehen die Chancen gut, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland künftig weiter zurückgeht - auch aufgrund des demographischen Wandels", sagt Christian Dorenkamp, Arbeitsmarktreferent bei der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände.

Bereits im vergangenen Herbst sanken die Arbeitslosenzahlen erstmals seit 1992 unter die Marke von drei Millionen. Zu Beginn dieses Frühjahrs zählte die Bundesagentur für Arbeit zwar wieder 3,2 Millionen Arbeitslose, doch auch das waren 350.000 weniger als im März vergangenen Jahres. Sicher hat das vor allem mit der guten konjunkturellen Lage zu tun, die sich schnell ändern kann. Die Auswirkungen der Produktionsstopps in Japan als Folge des Erdbebens zum Beispiel waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Und wie schnell die Weltwirtschaft ins Wanken gerät, hat die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt.

Dennoch sind sich die Experten sicher, dass der positive Trend sich langfristig fortsetzt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das die volkswirtschaftlichen Daten für die Bundesagentur in Nürnberg auswertet, geht in einer aktuellen Publikation zum Thema davon aus, dass die Zahl derjenigen, die dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen, in den kommenden Jahrzehnten dramatisch sinkt. Statt wie heute 45 Millionen Erwerbstätige werden es 2050 nur noch knapp 27 Millionen sein.

Dieser Rückgang beginnt langsam, wird sich aber ab 2020 beschleunigen. Bis dahin sinkt das so genannte Erwerbspersonenpotenzial um 3,6 Millionen auf gut 41 Millionen, 2025 werden es dann nur noch rund 38 Millionen sein. Hauptgrund dafür ist der demographische Wandel, bei dem eine wachsende Zahl älterer Menschen jenseits des erwerbsfähigen Alters immer weniger jungen Arbeitskräften gegenüberstehen.

Mangel an Fachkräften

Schon jetzt stöhnt die Wirtschaft über den Mangel an Fachkräften. Ingenieure, Ärzte, aber auch Installateure und Pfleger werden in vielen Regionen Deutschlands dringend gesucht. Dass die Wirtschaft dies Problem der Gegenwartmit einer zu geringen Ausbildungsquote und zu geringen Löhnen zum Beispiel im Pflegebereich mit verschuldet hat, wie vor allem linke Politiker und Gewerkschaftsvertreter immer wieder betonen, ist sicher richtig. Aber höhere Löhne und mehr Lehrstellen können die künftige demographische Entwicklung nur bedingt beeinflussen.

Der Trend ist klar, langfristig werden Fachkräfte fehlen. Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet mit zwei Millionen fehlenden Spezialisten bis 2020, das Prognos-Institut geht von einer Lücke von gut fünf Millionen bis 2030 aus, knapp die Hälfte davon betreffen Jobs für Akademiker. Und sogar bei den Geringqualifizierten sieht Prognos eine Lücke von rund einer halben Million Stellen, die nicht besetzt werden können.

Es kommt darauf an

Wird also alles gut? Wird der demographische Wandel all die Probleme des Arbeitsmarktes lösen, an denen sich die Politik über Jahrzehnte mit oft so bescheidenem Erfolg abrackerte? Die Antwort ist: Es kommt darauf an. Zum Beispiel darauf, wie die Unternehmen, die in einer immer stärker global vernetzten Wirtschaftswelt höher spezialisierte Fachkräfte brauchen und diese in Zukunft immer schwerer auf dem deutschen Arbeitsmarkt finden werden, reagieren werden. Zum Teil werden sie dies mit höheren Löhnen kompensieren müssen, doch es könnte auch sein, dass sie Ausweichstrategien entwickeln.

Das befürchten zumindest die Experten des IAB und sehen drei konkrete Bedrohungen, die den Traum vom Arbeitsmarkt, auf dem sich jeder Arbeitnehmer einen gutbezahlten Job aussuchen kann, schnell zunichte machen könnten. Erstens könnten die Unternehmen die Investitionen in Deutschland zurückfahren und noch stärker als bisher Fabriken nicht mehr in Deutschland bauen, sondern in den Ländern, in denen ausreichend Fachkräfte zu Verfügung stehen. Zweitens steigt durch höhere Löhne im oberen Segment der Anreiz, weniger qualifizierte Arbeitsschritte durch Roboter zu ersetzen, was gerade den Arbeitern und Angestellten im unteren und mittleren Segment wieder Beschäftigungschancen nimmt. Und drittens könnten Unternehmen auf die Markteinführung von Innovationen verzichten, weil ihnen dafür das Geld, das Personal oder beides fehlt.

Das würde mittelfristig ganze Produktionsstandorte gefährden. Das alles würde auch Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt haben und insgesamt könnte die Zahl der Arbeitsplätze sinken. In der Sprache der Wissenschaftler ausgedrückt: "Auch wenn das Erwerbspersonenpotenzial (EPP) und die absolute Anzahl Arbeitslose zurückgehen, könnte der Anteil Arbeitsloser am EPP konstant bleiben oder steigen, weil sich die Unternehmen auf einen Fachkräftemangel eingestellt haben und weniger Arbeitskräfte brauchen. So bleibt also selbst bei einem Rückgang des EPP weiterhin das Risiko einer dauerhaften Unterbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt."

Die Formel der Zukunft

Letztendlich wäre das nur eine konsequente Folge des marktwirtschaftlichen Prinzips. Denn wie jeder Markt drängt auch der Arbeitsmarkt auf eine Balance von Angebot und Nachfrage. Zunächst löst der Markt dies über den Preis (höhere Löhne), was aber langfristig auch zu einer sinkenden Nachfrage führen kann (Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland).

Deshalb ist die Politik schon jetzt alarmiert und hat den Fachkräftemangel zu einem zentralen Thema gemacht. Das Angebot an qualifizierten Arbeitnehmern darf eben nicht unter eine bestimmte Grenze sinken, wenn die Massenarbeitslosigkeit wirklich Geschichte werden soll. Um das zu erreichen, soll bislang nicht genutztes Potenzial gehoben werden. Dabei ist die Erhöhung des Lebenszeitalters, die gewiss nicht bei der Rente mit 67 stehenbleibt, nur ein Baustein. Die Zahl der Schul-, Ausbildungs- und Studienabbrecher soll um 10 bis 50 Prozent reduziert werden. Frauen, die bislang nach der Babypause oft nur schwer oder wenn, dann nur für halbe Tage den Weg zurückfinden in die Arbeit, sollen besonders gefördert werden. Und auch im Ausland soll verstärkt um Fachkräfte geworben werden. Bildung, Familie, Einwanderung - alle drei Handlungsfelder sind bislang in der Politik ideologische Kampfzonen und entsprechend langwierig dürfte hier um Lösungen gerungen werden.

Doch selbst wenn es gelingt und das Angebot an Arbeitsplätzen nicht sinkt, wird der Druck auf die Arbeitnehmer steigen - auch bei den höher Qualifizierten. Im Hamburger Institut für Zukunftsfragen hat man das auf eine griffige Formel gebracht: 0,5x2x3. "Das bedeutet, die Hälfte der Mitarbeiter verdient doppelt so viel und muss dafür dreimal soviel leisten wie früher", sagt Ulrich Reinhardt, Leiter der gemeinnützigen Stiftung, die vom Tabakkonzern bat ins Leben gerufen wurde.

Zeit als kostabarste Ressource

Hintergrund für diese Entwicklung ist neben dem geringeren Angebot an Fachkräften der Zwang eines Unternehmens zur stetig steigenden Produktivität. Nur wer stetig mehr produziert - qualitativ oder in Stückzahlen gemessen -, ohne dabei die Kosten zu steigern, wird wachsen und damit auf Dauer überleben. So lautet das Gesetz der Marktwirtschaft, die auf unendliches Wachstum setzt. In Anlehnung an Charles Darwin könnte man auch von einem "Survival of the fittest" reden. Reinhardts Vorgänger, Horst Opaschowski, der die Stiftung bis Anfang diesen Jahres leitete, formulierte entsprechend drastisch: "Die Mitarbeiter von morgen werden etwa zwanzig bis dreißig Jahre lang Höchstleistungen in der Erwerbswelt erbringen und danach nicht mehr gebraucht, verbraucht oder nur schwer vermittelbar sein, obwohl noch etwa dreißig Lebensjahre auf sie warten."

Dieses düstere Szenario teilt Reinhardt nur teilweise. Aber auch er ist sich sicher: "Die zukünftigen Arbeitnehmer werden mehr arbeiten müssen, als die heutigen." Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit werden sich immer mehr vermischen, der regelmäßige und fest planbare Feierabend wird zur Ausnahme. Und weil das alles irgendwann nicht mehr mit Geld aufzuwiegen ist, ist sich Reinhardt sicher: "Zeit wird dann zur kostbarsten Ressource, die ein Mitarbeiter haben wird."

Das gilt nicht nur für die Gutverdiener, sondern auch für die Arbeitnehmer am unteren Ende der Einkommenstabellen. Christian Dorenkamp von der Bundesvereinigung der Arbeitgeber erwartet für diese Gruppe eine "wachsende Eigenverantwortung" und eine höhere Zahl von Selbstständigen und verweist zum Beispiel auf den kommenden Wachstumsmarkt der Seniorenbetreuung. Keine Frage, eine alternde Gesellschaft hat einen riesigen Bedarf an Dienstleistungen, vom Einkauf und Großputz bis zur Rundumversorgung im Pflegeheim. Nur welchen Preis werden diejenigen, die diese Jobs übernehmen, dafür verlangen können?

McJobber und Leiharbeit

In den Szenarien der Hamburger Zukunftsforscher heißt der zukünftige Niedriglöhner bereits "McJobber". Er muss sich mit mehreren prekären Vollzeitjobs über Wasser halten und ist zum Beispiel in den usa schon lange Realität. "Vor allem im Dienstleistungsbereich wird diese Form der Arbeit zunehmen", sagt Reinhardt.

Doch auch in der über Jahrzehnte hinweg in Lohnfragen so klar tariflich geregelten industriellen Produktion geht der Trend in die gleiche Richtung. Die Zahl der Leiharbeiter - sie sind für das Unternehmen flexibler und deutliche kostengünstiger einzusetzen - ist in den vergangenen Jahren rapide gewachsen. Viele Leiharbeiter sind Facharbeiter, die als Festangestellte mit Tarifvertrag etwa das Doppelte verdienen würden. Doch nur wenigen gelingt der Sprung in ein solches Arbeitsverhältnis. Und das wird sich nicht bessern, glaubt Reinhardt. "Den klassischen festangestellten Facharbeiter oder Experten für eine bestimmte Tätigkeit wird es immer seltener geben."

Die Mitte wird also leerer, die zukünftigen Jobs wird es oben und unten geben, der Druck auf beide Gruppen steigt, alle werden mehr arbeiten, nicht alle mehr verdienen - so könnte die Realität hinter den schönen Zahlen des Arbeitsmarktes in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen.

Zukunft lässt sich gestalten

Allerdings: Zukunft lässt sich gestalten. Auch die Arbeit der Zukunft hängt von Rahmenbedingungen ab, die vor allem die Politik setzt. Um zum Beispiel möglichst vielen auch weiterhin die Chance auf eine Arbeit zu geben, von der es sich gut leben lässt, muss bei der Bildung angesetzt werden. Da sind sich alle Experten einig. Denn wer gut qualifiziert ist, wird auch in Zukunft Wahlmöglichkeiten mit Blick auf seine Arbeitsstelle haben. Und auch die Gewerkschaften, die trotz allem Bedeutungsschwund großer Institutionen noch immer entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeitsverträge besitzen, verfolgen mit ihrem Konzept der "Guten Arbeit" mehr als nur jährliches Feilschen um ein paar Prozentpunkte Lohnerhöhung.

Das vom Deutschen Gewerkschaftsbund formulierte Ziel: Arbeit ist so zu organisieren, dass sie von den Arbeitenden nicht vorwiegend als Last empfunden wird, sondern als Quelle des Wohlbefindens, der Persönlichkeitsbildung und eines erhöhten Selbstwertgefühls. Dazu befragen die Gewerkschaften jährlich die Beschäftigten und ermitteln auf einer Skala zwischen 1 und 100 die Zufriedenheit der Arbeiter und Angestellten mit ihrem Job. 2010 lag der durchschnittliche Wert bei 59 Punkten. Nach oben hin ist also noch reichlich Luft.

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Stephan Kosch

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