Als Protestant tut man sich ja eigentlich schwer mit Trallala, Pomp und Fanfaren. Und ich schwöre, dass ich der Hochzeit von Kate und William keine Minute Aufmerksamkeit geschenkt habe. Aber ich bin ein großer Fan des Grand Prix, der ja heute "Eurovision Song Contest" genannt wird - oder, noch moderner, "esc". Als vor kurzem in Düsseldorf wieder "Twelve Points, Douze Points, Zwölf Punkte" vergeben wurden, habe ich mich auf unserem Sofa mit allen Wohnzimmern der esc-Fans in Irland, Belgien, Schweden und natürlich auch Bosnien-Herzegowina verbunden gefühlt und gerührt Goldfischlis aus der Knabberbox geangelt.
Selbstverständlich habe ich mit Lena mitgefiebert. Es soll ja Puristen geben, für die es gegen die Grand-Prix-Ehre geht, dass bei der deutschen Vorauswahl die Kandidatin schon zweimal fest gesetzt war und ihr nur ein Lied auf den schönen Leib gewählt werden konnte. Als Protestant kann man darüber nur müde lächeln. Denn so etwas kennen wir ja schon lange vom Kirchentag. Gleich dreimal hintereinander haben die A-capella-Schlaumeier-Sänger "Wise Guys" das jeweilige Motto des Christentreffens verpoppt und so den offiziellen Kirchentagshit geschaffen. Damit haben sie stets für mächtig gute Stimmung gesorgt. So hätte es weitergehen können, bis sie und wir endlich Alters-Wise und grau sind ... aber damit wird es nichts mehr.
Dieses Mal sollte es nämlich etwas protestantisch-intellektueller klingen, das Kirchentagslied. Mehr Wort, mehr Kopf, am besten noch kritisch und ein wenig ironisch. Und deshalb hat Kabarettist Bodo Wartke den Zuschlag bekommen. Heraus kam eine Art Chanson mit einer Pianobegleitung, die sich ohne Frage redlich um Groove bemüht. Doch über diesem verliert der Künstler viele, viele Worte darüber, wo das Herz so ist und wo es eigentlich sein müsste. Die Kirchentagsbesucher werden staunen, wie viele Silben in wenige Akkorde passen. Im Internet kann man nachlesen, wie sich die Leiter von Jugendchören jetzt schon grämen, weil sie diesen Song niemals einüben können, und wie enttäuschte Teenies nach den Wise Guys rufen.
Aber noch ist ja nichts verloren. Man muss nur das Lena-Schlaumeier-Prinzip auf die Spitze treiben: Einfach gar nichts mehr ändern, weder den Interpreten, noch das Lied. Bodo Wartke verteidigt seinen Song, zehn Kirchentage lang. Spätestens dann kann jeder jede Silbe mitsingen und findet das Lied klasse. Und wenn es dann immer noch nicht klappt? Dann schicken wir es heimlich Stefan Raab, der baut es um und mixt es neu und bringt es ganz groß raus - mit Lenas Tochter beim Grand Prix 2031.
Stephan Kosch