Was mir Jesus bedeutet
Nicht das letzte Wort Mit Jesus verbinden mich die Menschen, die von ihm erzählen, zur Zeit des Neuen Testaments und heute. Menschen, die gelernt haben neu zu sehen und ihr Vertrauen auf Gott zu leben. In einem intensiven Gespräch mit meiner Freundin Luise habe ich lange darum gerungen, Worte dafür zu finden, was mir Jesus bedeutet. Ich beneide sie um ihre fast schon intime Nähe zu ihm, die Gewissheit getragen zu sein, die Hand, die sich ihr entgegenstreckt, das Gesicht, das ihr Hoffnung gibt. Ich suche nach meinem inneren Bild von Jesus und stelle fest, dass es vom religiösen Kitsch vieler Kinofilme besetzt ist. Der weiße bärtige junge Mann mit langem lockigem Haar erreicht mich nicht. "Jesus liebt dich", diesen Satz, der mit klebriger Sicherheit Autofenster ziert, kann ich nicht mit Gewissheit nachsprechen. In Gebeten und Liedern borge ich mir die Sprache der Tradition, mit dem Wissen, dass sie oftmals nicht die meine ist. Jesus ist mir wichtig als Mensch, der die Hoffnung der Armen und Erniedrigten auf eine gerechte Welt verkörpert, als Prophet, der mit ihnen zusammen die Tora verkündet, die Weisung Gottes für ein gutes Leben. Jesus, der Frauen und Männer bewegt, ihre Visionen von Gerechtigkeit, Menschenwürde und Frieden zu leben, allen Widerständen zum Trotz. Dieser Jesus wurde gefoltert und ermordet. "In jedem Menschen, der jetzt in Libyen getötet wird, sei es von den Truppen Gaddafis oder den Bomben der Nato-Mission, sehe ich Jesus", sagt Luise. Ich sehe in ihnen Geschöpfe Gottes, Gottes lebendigen Atem. Wir teilen die Empfindung des Unrechts und den Schrecken über das sinnlose Töten. Ich denke darüber nach, warum ich so zurückhaltend bin, in diesem Zusammenhang von Jesus zu sprechen. Vielleicht, weil mit dem Bekenntnis zu ihm so oft Überlegenheit anderen Religionen und Kulturen gegenüber demonstriert und vor allem das Trennende betont wird. Wenn Luise von ihrem Jesus spricht, ist er mir nahe. Lebendig wird Jesus für mich in den Erzählungen über ihn, in den Evangelien und in den Briefen des Paulus. Jesus ist der Christus, der Messias, bekennen sie. Gott hat ihn aufgeweckt, dem Tod und der Gewalt der Mächtigen nicht das letzte Wort gelassen. Aus dieser Kraft der Auferstehung leben die Männer und Frauen in den Gemeinden und erzählen, wie diese sie heilt und stärkt. Sie verkörpern Christus, die messianische Kraft, die auch mich erreicht und trägt, die göttliche Gegenwart, die Geistkraft der Lebendigen.
Auch eine Zumutung
Ein Mensch für andere Vorbild gesucht! Kinder und Jugendliche suchen vor allem in den Medien nach Menschen, an denen sie sich orientieren können, die für sie eine Rolle spielen, in die man selber noch hin- einwachsen will. Das starke Mädchen Pippi Langstrumpf, das alles schafft; der trickreiche Fußballer Cristiano Ronaldo, der von seinen Fans umjubelt wird; der wilde Mann Bushido, der mit Porno- und Gangsta-Rap-Texten stets die Grenzen überschreitet - die Vorbilder unterscheiden sich je nach Alterstufe und Geschlecht - und nicht jedes hilft wirklich, den eigenen Weg zu finden. Auch Jesus kann ein Vorbild sein. Ihm werden viele Rollen zugeschrieben - Heiler, Erlöser, Revoluzzer, Gottessohn...Für mich ist Jesus vor allem ein "Mensch für andere". Er war einer von uns, erlebte all die menschlichen Probleme und Freuden, die mir heute auch begegnen. Fröhliche Feste im Kreis der Freunde und einsame Stunden voller Angst, Glaube und Zweifel, Zuspruch und Ablehnung. Er schwebte nicht über den Dingen, sondern ging zu Fuß seinen Weg über staubige Straßen durch Dreck und Unrat. Und er wusch diesen Dreck anderen Menschen von den Füßen, ging auf die Ausgestoßenen zu, zeigte Mitgefühl und Mitleid für andere. Er wandte sich den Kindern zu, machte ihnen Mut und erklärte sie zum Vorbild für die vermeintlich Weisen und Gottgefälligen. Dieser Jesus kann auch für die Kinder und Jugendlichen der sozial schwachen Schicht zur Identifikationsfigur werden. Jesus ist ein Vorbild, dem ich nachgehen kann und an das ich das Klientel der offenen Jugendarbeit der Gemeinde gerne näher heranführen möchte. Doch von Bushido zu Jesus ist es ein weiter Weg. Die Beschäftigung mit Heranwachsenden ist in erster Linie Beziehungsarbeit. Entscheidend ist, welches Bild ich selber von mir abgebe. Ist an meinem Handeln erkennbar, welchem Vorbild ich nachfolge? Begegne ich den Menschen in Liebe, so wie es Jesus getan hat? Suche ich wie er die Begegnungen mit Gott, in mir oder in anderen Menschen? Wem werde ich zum Nächsten? Jesus kann Vorbild sein und Orientierung bieten, doch den Weg muss ich selber gehen. Damit der liebende Gott durch mich auf dieser Welt und unter uns Menschen wirken kann, so wie er durch Jesus gewirkt hat.
Nicht nachtragend
Manchmal wie ein Gott Jesus war ein guter Mensch, immer hilfsbereit. Das zeigt sich in den Wundergeschichten, zum Beispiel an der Blindenheilung. Er war ein jüdischer Wanderprediger. Von denen gab es viele. Ich glaube aber nicht, dass Jesus immer nur ausgeglichen und sanft war. Es gibt da ja eine Reihe von Gegenbeispielen. Etwa, wo er sagt, er wolle nicht den Frieden, sondern das Schwert bringen, oder, besonders krass, wo er sagt, wer nicht seine Familie hasst, sei nicht würdig, ihm zu folgen. Ich glaube, er wollte sagen: Wer mit mir geht, muss schon ziemlich verrückt sein, sonst lässt er es am besten gleich. Alle Verbote gingen ihm mit Sicherheit auf die Nerven, all dieses "man darf dies nicht, man darf das nicht". Vielleicht war er auch ein Revolutionär und sie haben ihn deshalb umgebracht. Aber sicher ist, dass er viele Fans hatte, die ihn später hochgelobt und zum Sohn Gottes gemacht haben. Und das steht dann auch so in der Bibel. Das ist nicht gerade extrem glaubwürdig. Aus dem Religionsunterricht weiß ich, dass man sich irgendwann darauf geeinigt hat, er sei "wahrer Gott und wahrer Mensch" gewesen. Alles andere soll falsch sein. Das ist natürlich unlogisch. Trotzdem finde ich die Formel nicht schlecht. Schließlich hat er ja bei der Kreuzigung gelitten wie jeder Mensch. Und die Sache mit dem Gott soll meiner Meinung nach sagen, dass er ein ewiges Vorbild für uns sein soll. Vielleicht heißt das auch: Jeder sollte sich, mindestens manchmal, wie ein Gott fühlen können. Aufgezeichnet von Helmut Kremers
Gegen den Strich Jesus bedeutet mir in meinen Leben, dass Gott mir nahe ist. Mit Jesus ist Gott auf die Erde gekommen, er ist geerdet und unter uns. Mit den biblischen Gleichnissen, den Geschichten aus seinem Leben ist mir in der Nachfolge die Distanz zum Geschehen, nicht alles hinzunehmen, am wichtigsten. Jesus hinterfragte, was ihm geboten wurde. Er trat dem Mainstream entgegen. Er war geradezu gegen den Strich gebürstet. Er ließ Ungewöhnliches gewähren und strahlte Gelassenheit und Großzügigkeit aus. Als Juristin ist mir das Gleichnis vom Ährenraufen am Sabbat wichtig. Das Gesetz ist nicht um des Gesetzes willen da. Wortwörtliches hilft selten weiter. Das Beharren auf dem Wortlaut einer Norm kann uns auf den Holzweg bringen. Wir müssen darüber hinaus schauen und erkennen, wozu es dienlich ist. Ein Blick über den Wortlaut hinaus führt uns zum Sinn des Gesetzes. Ein Blick in die Geschichte eines Gesetzes erhellt den Zweck. Die entscheidende Frage ist, wozu es uns Menschen dienlich ist und nicht, ob eine Norm erfüllt ist. Das Gesetz ist nicht um des Gesetzes willen da, sondern um des Menschen willen. Was nützt uns das Gesetz, wenn wir Hunger leiden. Jesus ist Herr über den Sabbat. Und im Herrsein gründet sich seine Vollmacht, wie aber auch die Freiheit der Jünger zu einem selbstbestimmten und selbstbewussten Handeln. Ein Handeln mit provokativem Verstoß gegen das Gebot macht das Freiheitsgeschenk Gottes deutlich. Die Dimension des Menschlichen, der Menschlichkeit, der Nachsicht. Er kannte die Fehlbarkeit des Menschen. Mit seiner Vollmacht kann er Sünden vergeben. Die Geschichte von der Ehebrecherin: Wer nicht gesündigt habe, werfe den ersten Stein. Und zu der Ehebrecherin: "Und sündige nicht hinfort." Die Frau, die das Salböl über Jesus ausgoss. Großzügigkeit und Verschwendung sind in einem vermeintlich unpassenden Moment erlaubt, geradezu erwünscht. Jesus widerspricht der Tischrunde und lässt die Störung der namenlosen Frau zu. Die Speisung der 5000. Unmögliches ist möglich. Widerspruch und Aufrütteln zum Mitmachen.
"Wieso hängt der hier immer noch?"