Nelson Mandela war der berühmteste Gefangene der Welt. Sein Lebensweg ist eng verknüpft mit der Geschichte Südafrikas und wurde oft erzählt: von ihm selbst, in autorisierten und nicht autorisierten Biographien, in unzähligen Artikeln, Dokumentationen und Porträts. Nun ist ein weiteres Buch erschienen, zeitgleich in zwanzig Sprachen und mit einem Vorwort von US-Präsident Barack Obama.
Es enthält Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Auszüge aus Interviews, Entwürfe für die Fortsetzung seiner Autobiographie und Notizen aus dem Alltag. Ein Team unter Leitung von Verne Harris hat es aus Mandelas Privatarchiv zusammengestellt und sorgfältig editiert. Mandela selbst hat dem Projekt seinen Segen gegeben.
"Bekenntnisse" sind es nicht, eher Zeugnisse aus seinem Leben. Anrührende, wie die Briefe aus dem Gefängnis an seine Familie, und alltägliche, wie Protokolle über Arztbesuche. Entstanden ist ein sehr privates Buch über einen öffentlichen Menschen, der längst zur Ikone geworden ist. Mandela war und ist kein Heiliger und wollte es auch nie sein. Heilige, schreibt er, seien doch nur Sünder, die am Ball bleiben. Und er ist auch weit weniger ein Revolutionär als die Rhetorik seiner Partei, des Afrikanischen Nationalkongresses (anc), vermuten lässt.
Mandela ist - das macht dieses Buch deutlich - ein in seiner ländlichen Heimat und Tradition tief verwurzelter Mensch, der den Wert von Bildung hoch schätzt und die Vorzüge der modernen Welt erkennt. Schnell begreift er, dass eine kampfbereite Arbeiterschaft und der unter der Diskriminierung leidende Mittelstand die Basis für einen erfolgreichen Kampf gegen die Apartheid sind.
Der Mann hat Prinzipien, deshalb kann er auf revolutionäre Slogans verzichten. Als ihn seine besorgten weißen Kerkermeister fragen, ob nicht so etwas wie Sozialismus zu erwarten sei, wenn er freigelassen werde, erklärt er pragmatisch, es gehe doch vielmehr darum, dass die schwarzen Südafrikaner endlich die Chancen nutzen können sollten, die eine freie Marktwirtschaft biete: "Der Kapitalismus würde unter ihnen aufblühen wie nie zuvor." Immer wieder streicht er in den verschiedenen Texten heraus, dass es in allen gesellschaftlichen Schichten und bei Personen aller Hautfarben anständige Menschen gibt.
Seine Kameraden sind ihm wichtig; dennoch zögert er nicht, als er von ihnen getrennt untergebracht werden soll. So kann er Vorgespräche zu Verhandlungen führen, wohl wissend, dass das Kollektiv der Gefangenen diesen Weg nicht gegangen wäre. Später aber unterwirft Mandela sich dem Beschluss des anc und wird - gegen seinen Wunsch - Präsident des Landes.
Das Leben als Befreiungskämpfer hat seinen Preis, aber Nelson Mandela steht zu seiner Entscheidung, sich ihm zu verschreiben. Auch die bitteren Stunden machen ihn nicht wehleidig, dazu ist er viel zu entschlossen, und vor allem zu diszipliniert. Der Erfolg ist ihm nicht zu Kopf gestiegen.
So umsichtig die Texte auch arrangiert und mit Anmerkungen versehen wurden: Das Buch bleibt ein Mosaik. Wer sich über das Leben Nelson Mandelas informieren möchte, sollte zunächst zu einer Biographie wie der von Anthony Sampson oder Richard Stengel greifen und erst dann zu dieser Sammlung. Sie ist ein Schatz und vermittelt immer wieder überraschende Einblicke in ein außergewöhnliches und sehr konsequentes Leben. Diese sehr privaten, aber nie indiskreten Perspektiven vermitteln, dass Nelson Mandela wahrlich kein Heiliger ist, aber sehr wohl zum Vorbild taugt.
Nelson Mandela: Bekenntnisse. Piper Verlag, München 2010, 458 Seiten, Euro 22,95.
Renate Wilke-Launer