Wer im April durch Köln lief, begegnete immer wieder auffallenden Plakaten, dunkelrosa grundiert. Auf ihnen leuchteten einem die Worte entgegen: "Für Gott" - "Sonntag" und: "Furchtlos weiter!" Eine Werbeaktion der christlichen Kirchen? Weit gefehlt! Auftraggeber war vielmehr die Oper Köln; sie machte auf die Uraufführung der Oper SONNTAG aus LICHT von Karlheinz Stockhausen aufmerksam. Und offensichtlich mit Erfolg; die meisten Vorstellungen waren ausverkauft, die Resonanz in den Medien enorm.
Der 2007 verstorbene Stockhausen zählt sicher zu den bedeutendsten Komponisten der Jahrzehnte nach 1950; 26 Jahre seines Lebens widmete er der Komposition eines monumentalen Opernzyklus mit dem Titel: LICHT. Dieser besteht aus sieben Opern, die nach den sieben Tagen der Woche benannt sind; jeder Tag behandelt ein für das menschliche Leben zentrales Thema. Der Gesamttitel LICHT ist eine Metapher für die Präsenz Gottes, und wenn jeder Tag "aus LICHT" ist, dann meint das: Jeder Tag, auch wenn sein Inhalt schwierig und schmerzlich ist (wie der Dienstag als Tag von Krieg und Konflikt, der Freitag als Tag der Versuchung, der Samstag als Tag des Todes), ist von Gottes Gegenwart durchdrungen.
Der SONNTAG aus LICHT nun, mit dessen Komposition Stockhausen 2003 den LICHT-Zyklus vollendete, ist der Tag des Gotteslobes; hier steht die religiöse Thematik ganz ausdrücklich im Mittelpunkt. Deshalb gibt es auch keine konventionelle Opern-Story; vielmehr werden in den fünf Szenen des Werkes fünf Räume für das Gotteslob eröffnet. Es beginnt mit dem Blick ins Universum: "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" - also in durchaus moderner, futuristischer Weise das traditionelle Thema der Sphärenharmonie. Es folgt der Lobgesang der Engel; dann erklingt das Gotteslob der irdischen Schöpfung. Darauf wendet der Blick sich auf die Grundthemen des menschlichen Lebens (also ein Rückblick auf den vollendeten LICHT-Zyklus), die sämtlich von Gottes Licht durchdrungen sind; das Werk endet mit der fünften Szene "HOCH-ZEITEN, dem erotisch-religiösen Thema der Unio mystica, der mystischen Vereinigung der Seele mit Gott.
Die Kölner Veranstaltung wies eindringlich darauf hin, dass hier in den letzten Jahrzehnten ein Gipfelwerk geistlicher Musik entstanden ist - darüber hinaus verstand Stockhausen sein Gesamtwerk als Gotteslob. Viele seiner Kompositionen zeigen das schon dem oberflächlichen Blick: von dem frühen Klassiker elektronischer Musik "Gesang der Jünglinge" (mit dem Text aus den Apokryphen zu Daniel 3 aus der Liturgie des Stundengebetes) über Inori, einer Komposition über das Gebet, bis hin zu Freude (2005), einer Vertonung des altkirchlichen Hymnus "Veni creator spiritus".
Und die Kirchen? Nehmen sie es dankbar auf, dass hier ein großer Komponist ihr Thema auf zeitgenössische Weise gestaltet? Nein - meist kommen zu "Stockhausen" Schlagwörter wie "Esoterik" oder "Privatreligion", ein Abwehrreflex, der verkennt, dass jede ernsthaft gelebte Frömmigkeit in dem Sinne "esoterisch" oder "privat" ist, als ganz persönliche Lebenserfahrungen in ihr eine wesentliche Rolle spielen. So verfehlt man die Begegnung mit einem Lebenswerk, in dem die Verbindung von Religion und Avantgardismus exemplarisch Gestalt gewonnen hat. Dabei leben wir schon seit Jahrzehnten in einer "Hoch-Zeit" geistlicher Musik; neben Stockhausen nenne ich, stellvertretend für andere, nur die Namen Dieter Schnebel, Walter Zimmermann, Klaus Huber, auch John Cage. Wenn man ihre Musik hört, kann einem klar werden: Christentum ist nicht offiziöse Leitkultur oder Wertelieferant, sondern ein Gotteslob, das alle Grenzen in "fremder Schönheit" überschreitet.
Thomas Ulrich