Töne wie Blüten

Martha Argerich zum 70.
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Die neue Edition macht gar nicht den Versuch, alle Stationen von Martha Argerich nachzuzeichnen. Sie konzentriert sich vielmehr auf die Zeit der Reife von den Neunzigerjahren bis heute.

Vermutlich haben sich schon viele Klavier-Fans gefragt, wie Martha Argerich das eigentlich macht: wie sie diese samtig-vollen, auch in den leisesten Passagen energievollen Klänge erzeugt. Im sehr informativen biographischen Text des Booklets liest man vom ersten wichtigen Lehrer der Argentinierin, Vincenzo Scaramuzza. Sein Unterricht basierte nicht nur auf einer profunden Spieltechnik, sondern ebenso auf einer sehr speziellen Körperlehre. Nur ein völlig entspannter Mensch, so seine These, sei in der Lage, wirklich mit dem Instrument zu kommunizieren. Scaramuzzas Ruf war auf dem ganzen Globus verbreitet.

Nun wissen aber die östlichen Lebenskünste wie Tai Chi, Qigong oder Yoga schon seit hunderten und tausenden von Jahren, dass zu einem entspannten Körper ein gelöster Geist gehört. Man kann zwar in Martha Argerich nicht hineinschauen, aber die Vermutung liegt nahe, dass genau diese Verbindung zu den Geheimnissen ihres außergewöhnlichen Musizierens gehört. Auf den üblichen Verlauf einer Pianistinnenkarriere hat sie es von Beginn an nicht abgesehen gehabt: Nach ersten großen Erfolgen in ihrer Jugend beispielsweise hat sie 1961, mit gerade mal zwanzig Jahren, einen seltenen Schritt vollzogen: Weil ihr alles zu schnell ging, trat sie den Rückzug vom Musikbetrieb an, um eine Familie zu gründen.

Diese Freiheit des Geistes ist ein Puls, der ihre Laufbahn immer durchzogen hat. Die neue Edition macht gar nicht den Versuch, alle Stationen nachzuzeichnen. Sie konzentriert sich vielmehr auf die Zeit der Reife von den Neunzigerjahren bis heute. Die Box Concertos etwa stellt vor, mit welcher natürlichen Hingabe Martha Argerich im orchestralen Kontext agiert.

Hier darf Prokofievs drittes Klavierkonzert nicht fehlen, die Künstlerin ist unter Kennern für ihre fulminante Interpretation berühmt. Noch berührender ist aber vielleicht die Begegnung mit "ihrem" Chopin. Das Maestoso des Klavierkonzerts Nr. 2, vom Orchestre Symphonique de Montréal kongenial zelebriert, ist nicht weniger als eine Liebeserklärung an die Musik selbst, von den ersten Takten ein Wunder an dynamischem Feinsinn und Ausdruck. Beethoven, Schumann, Bartok, Shostakovich, de Falla und Pletnev folgen - herzliche Gratulation, Martha Argerich. Und danke!

Martha Argerich Edition - Concertos - Chopin, Prokofiev, Bartok u.a. 4er CD. EMI Classics 940312

Ralf Neite

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