Harmonie als Vergewisserung

Längst vertraut: Kirche und Demokratie geben sich als natürliche Verbündete
Foto: Helmut Kremers
Foto: Helmut Kremers
Fast klang es in Dresden, als könne die Demokratie partout nicht ohne die Kirche auskommen.

Demokratie und Kirche. Wie man es dreht und wendet, das Verhältnis ist gut. Gerade die evangelische Kirche bewegt sich hierzulande wie ein Fisch im Wasser, staatsnah nennen's die einen, von Sich-Einbringen reden die anderen. Für letztere sind Demokratie und Kirche natürliche Verbündete.

In dem gläsernen Plenarsaal des Sächsischen Landtags, Blick auf die Elbe und auf unermüdlich vorbeiziehende Kirchentagsbesucher, bekriegten sich die beiden Eröffnungsreferenten zum Thema "Kuppelkreuz und Menschenkette - Das Religiöse im säkularen Raum" auf feinsinnige Weise: Hermann Lübbe, medienerprobter Philosophieprofessor, kam umstandslos auf den Begriff der Zivilreligion zu sprechen und führte ihn zurück auf Jean Jaques Rousseaus "Gesellschaftsvertrag".

Da findet sich allerdings unter dem Titel "religion civile" ein gänzlich restriktives Verzeichnis all dessen, woran der Bürger zu glauben hat - an die Existenz Gottes zu allererst. Religion werde von Rousseau als moralische Ermunterungsinstanz verstanden, wie noch heute von allzuvielen deutschen Politikern, betonte Lübbe.

Doch Zivilreligion ist für ihn etwas Positives - wie sich für ihn insbesondere am Beispiel der usa erweist. Dort gibt es bekanntlich eine strenge Trennung von Staat und Kirche. Dennoch ist auf dem Ein-Dollar-Schein "In God we trust" zu lesen, und dieses Vertrauen öffentlich zu bekennen, gehört zur Kultur der Vereinigten Staaten; öffentliche Gebete des Präsidenten sind gerade zu Pflicht. Das eigentlich Wesentliche aber liege darin, meinte Lübbe, dass der Mensch mit religiöser Bindung den Halt und die Freiheit habe, die Welt zu sehen, wie sie ist, mag er sie auch verändern wollen. Der Fromme sei Realist.

Der kleine Stich gegen den zweiten Redner, den in Deutschland geborenen französischen Publizisten Alfred Grosser, hatte in Lübbes Hinweis gelegen, dass die Aufklärung keineswegs immer die lautere Idee von Freiheit und Frieden gefördert hat. So erinnerte Grosser erst einmal nachdrücklich daran, dass die Kirchen jahrhundertelang keineswegs die heute als christlich etikettierten Werte gepflegt haben.

Gegen Machtverklumpung

Erst die Aufklärung habe diese zunächst gegen, dann in den Kirchen durchgesetzt. Heute schließlich verbinde Atheisten und Christen, soweit sie sich der Humanität verpflichtet fühlen, der "gemeinsame Blick auf den leidenden Menschen”. Mit dem von ihm bewunderten Philosophen Emmanuel Levinas müsse er sagen: Die Ethik ist die "Erste Philosophie".

Darauf konnte man sich einigen. Darüber, dass die Aufklärung die Kirche in mancherlei Hinsicht zur Vernunft gebracht hat, wird ohnehin kaum gestritten, schon eher darüber, ob und inwieweit die Kirche den Boden für die Aufklärung bereitet hat, und sei es wider Willen.

Auf einer anderen Veranstaltung, "Bilder des Glaubens - Wie prägt das Christentum die Demokratie?", am nächsten Tag, in der voll besetzten Kreuzkirche, fand Johanna Haberer, Professorin für Christliche Publizistik an der Universität Erlangen, den Weg zur Demokratie schon in altestamentlichen Bildern gewiesen.

Das sprach den Zuhörern aus dem Herzen, genau wie das, was die zweite Referentin, Gesine Schwan, ausführte: Nicht mehr der Widerstand gegen die Obrigkeit sei heute das Dringlichste, sondern die Auflösung von Machtverklumpungen, wie sie sich in jeder arrivierten Demokratie bilden. Wohlgemerkt: die Auflösung durch Kritik. Diese sei neben der Freiheit und Würde die dritte der drei Säulen der Demokratie, die auf den sowohl loyalen als auch kritischen Bürger angewiesen sind. Ihn vermuteten beide Referentinnen am ehesten unter aufgeklärten Christen.

Loyal und kritisch - das ist natürlich eine Frage der Äquidistanz zur Macht. Bezogen auf die Kirche in Deutschland stellt sich da die Frage, ob ihre staatsanaloge Verfasstheit Segen oder Übel bedeutet. Darüber hatte man tags zuvor im Sächsischen Landtag auch gesprochen: Alfred Grosser hatte die Armut der französischen Kirche als Agens ihrer Wirksamkeit herausgestellt und das kärgliche Einkommen französischer Priester als dem christlichen Armutsideal entsprechend gepriesen.

Konrad Raiser, langjähriger Präsident des ÖRK, hatte sich dem angeschlossen und sinngemäß gemeint, gerade ihre Staatsnähe hindere die Kirche in Deutschland daran, eine Brücke zwischen Volk und Politik zu bauen. Erstaunlicherweise beklagte er wenig später, dass den Muslimen die gleichen Rechte wie den Kirchen vorenthalten würden, gerade dies hindere sie daran, angemessen am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Damit entsprach er einem Grundkonsens, der hier auf dem Kirchentag vorherrschte: Der Islam sei schon ganz nah dran, sich mit positiven Kräften in die demokratische Gesellschaft einzubringen, würde aber von uneinsichtigen Kräften daran gehindert.

Harmonie, wissen wir, ist nicht ganz ohne Abgrenzung zu haben, und Harmonie als Solidaritätsvergewisserung ist nun einmal ein hervorstechendes Merkmal des Kirchentags. Wer Böses dabei denkt, sollte sich daran erinnern, wie häufig ständige Konfliktbereitschaft, so unverzichtbar sie im Prinzip für jede Demokratie sein mag, Garant für Fruchtlosigkeit ist.

Helmut Kremers

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