Ein Staat wie kein anderer

Die Verbindung des Volkes Israel mit dem Land Israel ist biblisch begründet
Orthodoxer Händler auf einem täglichen Markt. Foto: Daniel Malek Levy
Orthodoxer Händler auf einem täglichen Markt. Foto: Daniel Malek Levy
Inwiefern der Staat Israel für Christen eine theologische Bedeutung hat, erläutert Klaus Wengst, Professor em. für Neues Testament an der Universität Bochum.

1. Christen sind von ihrer Bibel her grundlegend auf Israel/Judentum verwiesen.

Die im Judentum entstandene auf Jesus bezogene Gemeinschaft hatte als ihre selbstverständliche Grundlage, was im Judentum der Zeit als heilige Schrift gelesen wurde. Auch die sich im zweiten Jahrhundert - im Gegenüber und im Gegensatz zum Judentum - bildende Kirche hat in aller Selbstverständlichkeit an der jüdischen Bibel festgehalten, die sie als Altes Testament zum ersten Teil ihres Kanons machte. Darüber ist in der Kirche zwar nie abgestimmt worden, sondern diese Zugehörigkeit war eine selbstverständliche Voraussetzung. Damit war aber von vornherein über die wichtigste theologische Frage entschieden, nämlich wer für die Kirche Gott ist. Das ist gewiss der Gott aller Welt, aber kein Allerweltsgott, sondern Israels Gott, dem es gefallen hat und gefällt, mit diesem Volk eine besondere Bundesgeschichte gehabt zu haben und weiterhin zu haben. Das haben wir inzwischen aus der Wahrnahme des tatsächlich existierenden Judentums und aus Zeugnissen des Neuen Testaments gelernt, dass die Bundesgeschichte Gottes mit seinem Volk Israel nicht mit Jesus endete, sondern unabhängig von ihm weitergeht. Wenn aber der biblisch bezeugte Gott - im Neuen Testament ist das nicht anders - Israels Gott ist, dann gibt es Gott nicht ohne seine Bundespartnerschaft mit diesem Volk. Würde Israel ausgerottet, gäbe es auch Gott nicht mehr als Israels Gott. So habe ich Juden in Geschichte und Gegenwart achten- und schätzengelernt als Zeugen Gottes, zu dem meine Vorfahren - und ich mit ihnen - durch Jesus im heiligen Geist gekommen sind.

Es ist für mich eine wesentliche Lernerfahrung der vergangenen fünfzehn Jahre, dass das Neue Testament als ganzes zwar ein christliches Buch ist, dass aber die meisten seiner Schriften von ihrem Inhalt und vom Selbstverständnis ihrer Verfasser her jüdische Schriften sind. Auch das unterstreicht noch einmal die grundlegende Verwiesenheit der christlichen Kirche auf Israel/Judentum. Nach der langen "Vergegnungsgeschichte" (Martin Buber) halte ich es für wichtig, bei klarer Erkenntnis des bleibend Trennenden und unter Respektierung unüberschreitbarer Grenzen das Verbindende und Gemeinsame zum Bewusstsein zu bringen - damit Christen nicht mehr in den Überlegenheitswahn verfallen und in alte Verhaltensmuster gegenüber dem Judentum zurückfallen.

2. Aus der theologisch begründeten Verwiesenheit der christlichen Kirche auf Israel/Judentum ist der Staat Israel nicht herauszunehmen

Der Schweizer Theologe Karl Barth stellte kurz nach der Staatsgründung staunend fest, dass der Name "Israel" "nun so überraschend aus der Sprache der Bibel und der Kirche, aus der ‚Sprache Kanaans‘ plötzlich wieder in die Zeitung" übergegangen ist. Bei der heutigen Bibelvergessenheit weiter Teile der Gesellschaft dürfte das Staunen allerdings eher in umgekehrter Richtung erfolgen, dass nämlich der Name "Israel" schon in der Bibel verankert ist und nach deren Darstellung zuerst dem Stammvater Jakob nach seinem geheimnisvollen Kampf am Jabbok gegeben wurde (1. Mose 32,29). Die nach dem biblischen Bericht in Bundesschlüssen Gottes dem Jakob und schon seinen Vorfahren Abraham und Isaak gegebenen Verheißungen beziehen sich auf Nachkommenschaft, auf die Gabe eines bestimmten Landes und auf ein sicheres Leben im Land, im "Land Israel", wie es auch im Matthäusevangelium genannt wird (2,20f.). Es ist alles andere als zufällig, sondern in der biblischen und weiteren biblisch-jüdischen Tradition begründet, dass 1948 der neu geschaffene jüdische Staat den Namen "Israel" erhielt und dass er an diesem Platz der Welt, eben im "Land Israel", seinen Ort fand - und nicht in Uganda, Madagaskar oder sonst wo.

Die Verbindung des Volkes Israel mit dem Land Israel ist biblisch begründet. Diese Verbindung muss nicht die Form staatlicher Verfasstheit haben und hat sie auch lange nicht gehabt. Aber unter den heutigen Gegebenheiten scheint es mir evident zu sein, dass diese Zusammengehörigkeit eine staatliche Form haben muss, dass die staatliche Existenz Israels eine wesentliche Bedingung für das Bestehen des jüdischen Volkes ist. Damit ist nichts gesagt über die Grenzen dieses Staates.

Eine christliche Lektüre neutestamentlicher Schriften, die nicht mehr nur sich selber sieht und nicht blind gegenüber Israel ist, kann die in ihnen sich auch findende "Bodenständigkeit" im Blick auf Volk und Land Israel stehen lassen und wahrnehmen. In den ersten beiden Kapiteln des Lukasevangeliums werden auf Israel bezogene messianisch-politische Verheißungen gebracht. Ich will nur einen Satz zitieren. In ihm spricht der Priester Zacharias unmittelbar nach der Beschneidung seines Sohnes Johannes im Blick auf "Israels Gott" (Lukas 1,68) die Bitte aus, "es uns - befreit aus der Hand unserer Feinde - zu geben, dass wir ihm ohne Furcht dienen können in Lauterkeit und Gerechtigkeit, vor ihm alle unsere Tage" (Lukas 1,73-75). Und im Römerbrief (15,8) bezeichnet Paulus es als diakonische Funktion des Messias Jesus gegenüber Israel, "die den Vätern gegebenen Verheißungen zu bestätigen".

Wie mich als Christen meine Bibel mit dem Judentum verbindet wie mit keiner anderen Religion, sehe ich mich von daher indirekt auch zum Staat Israel in Beziehung gesetzt wie zu keinem anderen Staat, und zwar in eine unbedingt verpflichtende Solidarität, die solange ganz und gar parteilich ist, wie mächtige Staaten der Region und von ihnen ausgehaltene und ausgerüstete militante Verbände die Existenz des Staates Israel mit dem Ziel seiner Vernichtung in Frage stellen.

3. Aus dem Erschrecken über die Verheerungen des zweiten Weltkriegs und über den Massenmord an den jüdischen Männern, Frauen und Kindern Europas durch Deutschland entstand die Doppelparole: "Nie wieder Krieg! Nie wieder Auschwitz!" Sie kann in ihren beiden Teilen nicht gleichgewichtig aufrechterhalten werden.

Dass das nicht geht, ist mir während des Golfkrieges 1991 deutlich geworden. Ich habe damals deshalb nicht an Friedensdemonstrationen teilgenommen, obwohl ich mich vorher in der Friedensbewegung engagiert hatte. Wenn man die erste Parole absolut setzt, kann es geschehen, dass etwas von dem - wenn nicht alles, was die zweite Parole verneint - sich doch wieder ereignet. Wer wirklich will, dass es "nie wieder Auschwitz" gibt, kann und darf nicht reflexartig mit Friedensdemonstrationen gegen Israel reagieren, wenn es gezwungen ist, sich um der Erhaltung seiner immer noch in Frage gestellten Existenz willen mit militärischer Gewalt zu wehren.

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Klaus Wengst

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