Heiße Eisen gemieden

Trotz vieler Mängel: Die Friedenskonvokation des Weltkirchenrates in Kingston setzte ein paar neue Akzente
Foto: epd/Peter Williams
Szenische Darstellung der Themen der Friedenskonvokation. Foto: epd/Peter Williams
Mit einer "Friedenskonvokation" hat der Weltkirchenrat (ÖRK) seine "Dekade zur Überwindung von Gewalt" beendet. Rund tausend Teilnehmer aus den 349 Mitgliedskirchen des ÖRK waren in die jamaikanische Hauptstadt Kingston gekommen. Barbara Schneider, Redakteurin des epd, berichtet.

Grace Kaiso ist ein Mann deutlicher Worte. Der Weltkirchenrat sei zu zögerlich, sagt der Afrikaner. Für einen Augenblick hat er das Tagungszelt auf dem Campus der "University of the Westindies" in Kingston verlassen. Jetzt steht er im Schatten eines Mangobaums und erinnert sich an die Siebziger- und Achtzigerjahre, als der ÖRK klar und deutlich zur Rassentrennung in Südafrika Stellung bezogen hatte. Auch heute müssten die Kirchen überzeugt auftreten und den Krieg verurteilen, sagt der Generalsekretär des Rates der anglikanischen Kirchenprovinzen Afrikas: "Die Kirchen müssen mit einer Stimme sprechen."

Die Erwartungen der rund tausend Kirchenvertreter und kirchlichen Friedensaktivisten, die aus aller Welt zu der Internationalen Friedenskonvokation des Weltkirchenrates in die Karibik gekommen waren, waren hoch. "Das Überleben unseres Planeten setzt nicht weniger als die Abschaffung des Krieges voraus", betonte der ehemalige Leiter des Versöhnungszentrums in Coventry, Paul Oestreicher, in seiner Eröffnungsrede. "Ein Ja zum Leben bedeutet ein Nein zum Krieg." Eindrücklich fügte der anglikanische Geistliche hinzu: Wenn die Menschen nicht lernten, Konflikte ohne Kriege zu lösen "dann haben die Kinder unserer Kinder vielleicht keine Zukunft mehr".

Auch die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann machte zu Beginn der Tagung deutlich: "Wir brauchen klare theologische Überzeugungen und müssen deutlich sagen, dass Gewalt in keiner Weise von der Religion legitimiert wird." Die Glaubwürdigkeit der Kirche zeige sich auch am Umgang mit Gewalt.

"Ein Ja zum Leben bedeutet ein Nein zum Krieg."

Der ÖRK setzte bei der Friedenskonvokation auf ein breites Themenspektrum. Auf den Podien wurden Umweltfragen diskutiert, Fragen der Wirtschaftsgerechtigkeit und des Friedens zwischen den Völkern und der Versöhnung im zwischenmenschlichen Bereich. Inhaltlich reichte die Bandbreite vom drohenden Untergang der Insel Tuvalu bis zur Not der Christen im Irak, von sexueller Gewalt gegen Frauen bis hin zur Diskriminierung durch das Kastenwesen in Indien.

Viele Erfahrungsberichte, die bei der einwöchigen Tagung zur Sprache kamen, waren alarmierend und erschreckend. Doch ein eindeutiger Schwerpunkt kristallisierte sich nicht heraus. Stattdessen rückte in Kingston, wo die bei der ÖRK-Vollversammlung in Harare 1998 ins Leben gerufene "Dekade zur Überwindung von Gewalt" ihren Abschluss fand, erneut die Bedeutung des Weltkirchenrates auf den Prüfstand.

Hatte doch die "Dekade zur Überwindung von Gewalt", die 2001 mit einem großen Festgottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin eröffnet worden war, längst nicht die Breitenwirkung erzielt, die sich viele erhofft hatten. Weder wurde der ÖRK in dieser Zeit als treibende Kraft bei der weltweiten Überwindung von Gewalt wahrgenommen, noch erreichte die Dekade eine breite außerkirchliche Öffentlichkeit.

Keine Breitenwirkung

Sicher, in deutschen Kirchengemeinden und Landeskirchen entstanden wichtige Initiativen für Frieden und Versöhnung. Ja, vor allem die Kirchen Deutschlands, die mit rund 120 Männern und Frauen in Kingston vertreten waren, waren ein wichtiger Motor der Friedensdekade.

Zugleich versuchte der Weltkirchenrat auf internationaler Ebene Schwerpunkte zu setzen, beispielsweise mit seinem Ökumenischen Begleitprogramm in Israel und Palästina. Über Einzelinitiativen hinaus gelang es dem ÖRK allerdings nicht, die Dekade auch außerhalb der Kirchen bekannt zu machen. Vielleicht auch, weil die Dekade sehr breit angelegt war: Jahr für Jahr rückte der Weltkirchenrat eine andere Region in den Fokus.

Thematisiert wurden unter anderem die israelische Besetzung der Palästinensergebiete, der Friedensprozess im Sudan, die Gewalt in Lateinamerika und die Situation in Europa. Ein Gesamtzusammenhang ließ sich da nur schwer herstellen. Und auch die kleinen ökumenischen Besuchsteams, so genannte Lebendige Briefe, die während der letzten beiden Jahre der Dekade als Beobachter in verschiedene Länder geschickt worden waren, erzielten letztlich keine Breitenwirkung.

In Kingston gelang es dem ÖRK nicht, über die kirchlichen Kreise hinaus Gehör zu finden. Anders als etwa das Weltsozialforum, das im Grunde genommen ähnliche Themen bespielt, fand die Friedenskonvokation weitestgehend unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt.

Nur sehr wenige Medienvertreter waren überhaupt nach Kingston gereist, und selbst lokale Blätter auf Jamaika nahmen von der ÖRK-Konferenz kaum Notiz. Sicher lag das auch an der Konzeption der Veranstaltung: Auf den Podien saßen fast ausschließlich Kirchenvertreter. Der Dialog mit Verantwortungsträgern aus Politik und Wirtschaft und mit bekannteren Repräsentanten anderer Religionen fand nicht statt.

Es mangelte an Mut

Darüber hinaus mangelte es dem Weltkirchenrat aber auch an Mut, zu den aktuellen Krisenherden in der Welt Stellung zu beziehen. Klare Worte zur Situation in den arabischen Ländern fehlten. Dass der ÖRK gerade hier, wohl aus Rücksichtnahme auf die Kirchen vor Ort, keine Position bezog, sorgte für Unverständnis und Kritik bei vielen Teilnehmern.

Die Konflikte in der arabischen Welt hätten aufgenommen werden müssen, monierte der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms. Der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann forderte, der Weltkirchenrat müsse deutlicher zu aktuellen Konflikten Stellung beziehen. Und der zukünftige bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sagte: "Ich wünsche mir eine Weltkirche, die nicht nur gute Beispiele gibt oder Grundsätze zum Ausdruck bringt, sondern die auch einwirkt auf die politische Gestaltung."

Die Konvokation blieb weitestgehend ein innerkirchliches Ereignis, bei dem vor allem der Austausch zwischen den Teilnehmern im Mittelpunkt stand. In zahlreichen Workshops stellten sie Friedensprojekte in ihren Heimatländern vor, gegen Straßengewalt in Guatemala, für Behindertenrechte im Kongo und in Korea, Anti-Rassismus-Trainings und Friedenslösungen zwischen Israel und Palästina. Eine Gruppe aus Ostdeutschland referierte vor Afrikanern und Asiaten über die friedliche Revolution in der DDR. Andere setzten den Klimawandel auf die Agenda. Orthodoxe vernetzten sich auf diese Weise mit Anglikanern, und Äthiopier traten mit Philippinos ins Gespräch.

Ihre Bedeutung gewann die Tagung als großes Vernetzungstreffen für Friedensinitiativen und -aktivisten aus dem kirchlichen Bereich. Dagegen fehlte ein Austausch bei den Plenumssitzungen. Hier reihte sich Vortrag an Vortrag, und Zeit für Reaktionen aus dem Publikum gab es kaum. Selbst nach einer emotionalen Rede des ältesten Sohnes des 1968 ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King war kein Gespräch vorgesehen. Und dass, obwohl der Rede- und Diskussionsbedarf seitens der Teilnehmer durchaus groß war.

Kein Austausch im Plenum

Als am letzten Tag das Saalmikrofon zur Diskussion der Abschlussbotschaft freigegeben wurde, ergriffen hundert Männer und Frauen das Wort. Und der Unmut war groß. "Es ist nicht fair, hier nur eine Minute Zeit zu haben und vorher eine halbe Stunde zu warten", schimpfte ein Afrikaner. Viele Themen, die bislang nicht zur Sprache kamen, wurden nun geäußert. Buchstäblich in letzter Minute brachten viele Teilnehmer ihre Anliegen ein.

Zum Abschluss der Tagung verabschiedeten die Konferenzteilnehmer eine Botschaft, die zahlreiche wichtige Punkte benannte, gleichzeitig aber in vielem wenig greifbar blieb. Beispielsweise wagte man sich an eine eindeutige und klare Position zu Kriegseinsätzen in der Welt nicht heran. War im Entwurf der Abschlussbotschaft noch davon die Rede, dass Krieg geächtet werden müsse, wurde die Endfassung abgeschwächt:

"Wir sind geeint in unserem Bestreben, dass Krieg illegal werden sollte." Hier wären eine schärfere Formulierung und eine deutlichere Aussage durchaus wünschenswert gewesen. Wie etwa bei der Ablehnung von Waffenhandel, dem Eintreten der Kirchen für eine vollständige atomaren Abrüstung sowie der Forderung nach einem Kleinwaffenverbot. Punkte, in denen die Botschaft klare Worte enthält.

Große Aufgabe und echte Herausforderung für den ÖRK

Die Stärke des Papiers liegt unterdessen vor allem in den deutlichen Signalen an den Weltkirchenrat selbst. Mit Blick auf die sogenannte "Schutzpflicht" formulierten die Teilnehmer der Friedenskonvokation die Aufforderung an den Weltkirchenrat, seine Haltung in dieser Frage weiter zu klären. Gibt es doch bei der Frage, wie unschuldige Menschen vor Krieg und Gewalt geschützt werden können, in den ÖRK-Mitgliedskirchen unterschiedliche Auffassungen.

Zudem nimmt das Abschlusspapier die vielfältigen Formen von Gewalt und Unterdrückung, die es weltweit gibt, in den Blick. Für lauten Beifall sorgte, dass in der Abschlussbotschaft ein Satz gegen die Diskriminierung Homosexueller aufgenommen wurde. Die Aufforderung an den Weltkirchenrat, in Fragen der Sexualität "geschützte Räume zu schaffen, in denen über die trennenden Fragen menschlicher Sexualität gesprochen werden kann", ist ein Novum und mehr, als viele erhofft hatten.

Angesichts der Schwierigkeiten, die die Kirchen Afrikas mit dem Thema Homosexualität haben, ist der Austausch in diesem Bereich eine große Aufgabe und echte Herausforderung für den ÖRK. Es bleibt zu hoffen, dass er diese und die anderen in der Abschlussbotschaft festgehaltenen Anregungen seiner Mitglieder ernst nimmt.

Barbara Schneider

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"