Sand im Getriebe
Die Atomreaktoren in Deutschland werden im Schnitt zwölf Jahre länger laufen als geplant. Bundesregierung und Energiekonzerne nennen das praktizierten Klimaschutz und einen wirtschaftlich vernünftigen Weg in eine Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen.
Kritiker, wie zum Beispiel die Synode der EKD, verweisen auf die ökonomischen Interessen der Betreiber und halten den vorgesehenen Weiterbetrieb der Kraftwerke wegen des immensen Schadenspotenzials im Falle eines Störfalls in den alternden Reaktoren für nicht akzeptabel.
Für eine Million Jahre unter Verschluss
Doch einer Frage können beide Seite nicht ausweichen: Wohin mit dem strahlenden Müll? Diese Frage ist für den Laien nicht seriös zu beantworten. Sie ist es wahrscheinlich für niemanden, denn die strahlenden Fässer müssen für eine Million Jahre unter Verschluss gehalten werden. Ein Zeitraum, für den Prognosen eigentlich unmöglich sind.
Und doch muss mit den strahlenden Hinterlassenschaften des Atomzeitalters verantwortlich umgegangen werden. So bleibt gar nichts anderes übrig, als dem Rat der Experten aus der Wissenschaft zu folgen, um das bestmögliche Endlager zu finden.
Genau an dieser Stelle ist aber mit Blick auf die erfolgte Festlegung auf Gorleben Skepsis angebracht. Zwar gilt Salz neben Ton oder Granit als theoretisch sicheres Material zur Abschirmung. Doch als 1983 die damalige Regierung Kohl entschied, allein den 14 Kilometer langen Salzstock nahe der früheren Grenze zur DDR als Standort für ein deutsches Endlager zu erkunden, war dies vor allem politisch motiviert. Schließlich galt es, dem Lager Morsleben auf der anderen Seite des eisernen Vorhanges etwas entgegenzusetzen.
Der Physiker Helmut Röthemeyer, der damals die entscheidende Studie schrieb, hatte zunächst empfohlen, weitere Standorte zu erkunden. Diesen Hinweis habe er aber auf Wunsch der Regierung gestrichen, erklärte er im Bundestagsausschuss zu Gorleben.
Andere Experten warnen immer wieder davor, dass eindringendes Wasser oder Gasblasen das Lager undicht machen könnten. Vielleicht ist Gorleben dennoch der bestmögliche Standort für eine deutsche Atomdeponie, vielleicht liegt dieser aber auch in Süddeutschland oder Schleswig-Holstein. Solche Alternativen werden jedoch bislang nicht geprüft. Statt auf gesellschaftlichen Konsens zu setzen und den mit der Einsetzung des Arbeitskreises Endlager (AkEnd) begonnenen Prozess fortzusetzen, gilt wieder Basta-Politik. Dieser Umgang mit einem so hochsensiblen Thema schürt Ängste und Widerstand in der Bevölkerung, wie der große Castor-Protest zeigte.
Warnungen der Experten
Deshalb ist es gut, dass unter anderem die Kirchengemeinde in Gartow gegen den Neubeginn der Erkundung von Gorleben vor Gericht zog. Ihr gehört ein Grundstück in Sichtweite des Schachts, womit sie auch Rechte am unterirdischen Salzstock hält. Die Klage konnte die Arbeiten zwar nur kurzfristig stoppen, weil Bundesumweltminister Norbert Röttgen den Sofortvollzug anordnen konnte. Dennoch hat die Kirchengemeinde für einen kurzen Moment den planmäßigen Ablauf gestört: Das Salz der Erde als Sand im Getriebe.
Das deckt sich mit der Motivationslage der gesamten Anti-Castor-Bewegung, die zu Recht jede Stunde als Erfolg feierte, in der sie den Atomtransport blockierte. Denn ihnen ging und geht es darum, das Räderwerk zumindest zeitweise zum Stillstand zu bringen, mit dem die Bundesregierung unbeeindruckt von den Sorgen der Bevölkerung und der Expertise von Wissenschaftlern Fakten schaffen will.
Stephan Kosch