Im Nachhinein

Jede Rüstung gilt einer ungewissen Zukunft
Foto: privat
Weltpolitische Lagen haben die unangenehme Eigenschaft, sich immer wieder zu ändern. Werden wir also in ein paar Jahren eine funkelnagelneue Bundeswehr haben, die für neue Bedrohungen nicht gerüstet ist?

Die Bundeswehr steht vor der größten Reform ihrer Geschichte. Längst war die allgemeine Wehrpflicht am Ende: zu teuer und darüber hinaus unzweckmäßig - Letzteres gemessen an den neuen Herausforderungen. Die liegen seit dem Kosovokrieg in unterschiedlich motivierten Einsätzen im Ausland. Von daher und von der heutigen weltpolitischen Lage aus gesehen leuchtet das neue Konzept für die Bundeswehr ein.

Aber weltpolitische Lagen haben die unangenehme Eigenschaft, sich immer wieder zu ändern. Selbst für erfahrene Auguren bleibt im Dunkeln, welches ihrer Szenarien denn zukunftswirksam werden mag. Die bisherigen weltweiten Einsätze der Bundeswehr erfolgten, mag man es für gut oder schlecht halten, fast ausschließlich im Kielwasser der USA. Möglich ist, dass denen die Lust an weltweiten Einsätzen für längere Zeit vergangen ist. Selbst sicherheitspolitische Gründe haben für sie vorläufig und vielleicht für längere Zeit stark an kriegerischer Zugkraft eingebüßt. An die Gründe, die für den Irakkrieg herhalten mussten, erinnert man sich ohnehin nur mit Grausen.

Sicherheitspolitische Alpträume

WikiLeaks verdanken wir die frustrierende Einsicht, dass nicht alle sicherheitspolitischen Albträume Hirngespinste von Verschwörungstheoretikern sind. Wenn es zum Beispiel wahr ist, dass Nordkorea mit Hilfe der Chinesen Raketen an den Iran geliefert hat, wäre dies ein besonders übles Beispiel. Andererseits liegt auf der Hand, dass die eigentlichen sicherheitspolitischen Brennpunkte dieser Welt - genannt seien nur Pakistan, Nordkorea, Iran - sich nicht durch militärischen Einsatz löschen lassen werden.

Das heißt: Es besteht durchaus die Möglichkeit (oder nennen wir's eine Hoffnung?), dass der Entschluss zu einem weiteren weltweiten Einsatz auf sich warten lassen wird. Vielleicht bleibt am Ende nur die Piratenjagd zur Sicherung unserer Handelswege.

Die hält allerdings ein Großteil der Deutschen für moralisch nicht sauber. Allenfalls der humanitäre Einsatz erfreut sich einiger Zustimmung. Daher auch die Versuche, den Afghanistaneinsatz in einen solchen umzumünzen, frei nach dem Motto "Auch Frauen sollten sich frei von Zwang und unverschleiert in ihrem Heimatland bewegen können".

Kaum noch jemand erinnert sich anders als ironisch an die Behauptung des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck, am Hindukusch würde unsere Freiheit verteidigt. Dabei hatte er wenigstens im Prinzip Recht: Es geht wirklich um die Verteidigung unserer Freiheit (wenn vielleicht auch nicht gerade dort, wo Struck es vermutete), denn so viel ist sicher: ohne Freiheit ist alles nichts. Selbst mit humanitären Einsätzen ist es ohne sie nicht weit her. Ob sich übrigens die Europäer je zu einem solchen - ganz ohne die USA - aufraffen werden? Wenn nicht, muss man dies nicht unbedingt bedauern, denn noch ist die zweifelhafte Weise, mit der im Falle des Kosovokrieges humane Motive bemüht wurden, in unguter Erinnerung.

Nicht gerüstet für neue Bedrohungen

Andererseits bleibt es ein mulmiger Gedanke, dass ein Ruanda, ein Darfur immer möglich bleibt. Werden wir also in ein paar Jahren eine funkelnagelneue Bundeswehr haben, der die heute denkbaren Einsatzmöglichkeiten abhanden gekommen sind? Wenn es so kommt, wird das kaum jemand bedauern. Der Stachel liegt nur in der Frage, ob die weltpolitische Lage dann nicht ganz andere Bedrohungen produziert haben wird, für die wir nicht gerüstet sein werden. Aber "die Eule der Minerva fliegt in der Dämmerung", heißt es bei Hegel. Anders gesagt: Wir werden es erst im Nachhinein erfahren.

Helmut Kremers

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