Geschmeidig

Ein Kirchenmann in der NS-Zeit
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Der evangelische Theologe Heinz Brunotte hatte sich in der Weimarer Republik als Demokrat erwiesen, in der NS-Zeit als anpassungsfähiger Kirchendiplomat und in der Bundesrepublik wieder als Demokrat.

Der Journalist Jens Gundlach hat ein bemerkenswertes Buch vorgelegt: eine ausführliche, gedankenreiche Biografie des außergewöhnlich begabten evangelischen Theologen Heinz Brunotte, der bis 1965 das EKD-Kirchenamt leitete. In der Weimarer Republik hatte er sich als Demokrat erwiesen, in der NS-Zeit als anpassungsfähiger Kirchendiplomat und in der Bundesrepublik wieder als Demokrat.

Gundlachs Analyse ist insgesamt sehr überzeugend, seine Interpretationen sehr kompetent. Der Rezensent ist beeindruckt von der Fülle der Quellentexte, die Gundlach erstmals vorlegt. Jedoch kann der Rezensent nicht verhehlen, dass Gundlach an einigen Stellen hätte genauer arbeiten sollen.

Gedankenreich

So fallen in der manchmal weitschweifigen Darstellung Formulierungsschwächen auf. Und die Benutzung der Literatur beschränkt sich zu stark auf ältere Gesamtdarstellungen. Neuere Spezialliteratur wird dagegen weniger verwendet. Besonders die These vom "Störfaktor", der die Kirche im NS-Staat gewesen sei, wird insofern nur oberflächlich behandelt, als zwar die Verfechter dieser The­se zu Worte kommen, nicht aber deren Gegner.

Gundlachs Analyse macht deutlich: Brunotte gehörte als junger Pfarrer der lutherischen Landeskirche von Hannover unter ihrem Bischof August Marahrens zu einem Kreis von Theologen, die im Gegensatz zu der nationalkonservativen Mehrheit politisch demokratisch und theologisch reformorientiert Stellung bezogen. Er zeigte sich als ein Theologe, der gegen allen lutherischen Konfessionalismus die Auffassung des Theologen Karl Barth voll bejahte, dass allein das Wort Gottes die Kirche bestimmen dürfe.

Und so war es nur konsequent, dass Brunotte 1933 dem Pfarrer-Notbund Martin Niemöllers beitrat, der im Gegensatz zu den Deutschen Christen den "Arierparagraphen" in der evangelischen Kirche eindeutig ablehnte. Sein Weg in die Bekennende Kirche schien also vorgezeichnet.

Aber wie sich schon in dieser frühen Zeit Brunottes große Begabung zum Kompromiss zeigte, wird ab 1933/34 immer deutlicher: Seine Begabung für und die Neigung zu einem diplomatischen Ausgleich eigentlich unvereinbarer Gegensätze verhindern zusammen mit einem wachsenden Ehrgeiz, dass Brunotte den eindeutigen Weg Niemöllers in die Bekennende Kirche mitgeht. Vielmehr distanziert er sich immer deutlicher von seinen früheren Freunden und von der Entschiedenheit der Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem. Und so wird Brunotte 1936 zum Oberkonsistorialrat in die Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche berufen.

Protestanten auf Judenhass verpflichtet

In einer ausführlichen Analyse beschreibt Gundlach Brunottes weiteren Weg durch das "Dritte Reich", den ein Sowohl-als-auch kennzeichnet. Ziel ist der Erhalt der Kirche als Institution. Damit rechtfertigt Brunottes später sein Handeln. Und vielleicht hat er sogar Recht.

Aber Gundlach zeigt auch, dass der anpassungsfähige Oberkonsistorialrat oft in vorauseilendem Gehorsam Beschlüsse fasst oder mitträgt, die theologisch unhaltbar sind. So drängt er 1939 seinen Landesbischof zur Unterzeichnung der "Fünf Grundsätze", mit denen die Protestanten auf Judenhass und NS-Weltanschauung verpflichtet werden. Er unterstützt die Ausgrenzung der Ju­den aus der Kirche und formuliert im Krieg Huldigungstelegramme an Hitler. Nach dem Untergang des "Dritten Reiches" rechtfertigt sich Brunotte mit dem Hinweis, er habe nichts anderes ge­tan, als den Erhalt der Kirche zu ermöglichen.

Gundlachs Analyse ist ein wertvoller wissenschaftlicher Beitrag zur Erforschung der kirchlichen Zeitgeschichte, und dies umso mehr, als sie gegenüber der heute wieder üblichen Rechtfertigung, die evangelische Kirche habe sich in der NS-Zeit allein schon durch ihre Verkündigung als "Störfaktor" erwiesen, eine kompetente Alternative bietet: Sie tut den entschiedenen Teil der Bekennenden Kirche nicht einfach als "kleines Segment" ab.

Jens Gundlach: Heinz ­Brunotte 1896-1984. Anpassung des Evangeliums an die NS-­Diktatur. ­Lutherisches Verlagshaus, Hannover 2010. 526 Seiten, Euro 19,50.

Günter van Norden

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