Ohne Dogmen

Originelle Theologie
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Fundamentalismus und Dogmatismus sind am Ende sind, das Christentum tritt in eine neue Phase, in dem deutlich wird: Glauben bedeutet vertrauen, nicht etwas für wahr halten.

Das haben angelsächsische Geisteswissenschaftler ihren deutschen Kollegen meistens voraus: Sie schreiben verständlich, unterhaltsam, mit einer Prise Humor. Das gilt auch für Harvey Cox, der mittlerweile 81 Jahre alt ist. In Deutschland wurde der Theologieprofessor, der an der Harvard-Universität lehrt, durch sein Buch "Stadt ohne Gott" bekannt, das 1965 erschien.

Die These seines neuesten Buches ist, dass Fundamentalismus und Dogmatismus am Ende sind und das Christentum in eine neue Phase eintritt, die Cox das "Zeitalter des Geistes" nennt. In diesem wird (wieder) deutlich: Glauben bedeutet: vertrauen, nicht etwas für wahr halten. Im Englischen stehen dafür die Wörter faith und belief. Die erste Bedeutung prägte nach Cox das Urchristentum. Ab dem dritten Jahrhundert bestimmten dann aber immer mehr die römischen Kaiser und Bischöfe, was als Wahrheit galt und was als Ketzerei. So begann "der Abstieg des Glaubens ... vom Vertrauen auf Gott zum Fürwahrhalten von Behauptungen über Gott".

Zugang zum Christentum verbaut

Doch nun fängt dadurch, dass sich der Schwerpunkt des Christentums nach Süden verschiebt, eine dritte Phase an, die der ersten ähnelt. Die in Lateinamerika entstandene Befreiungstheologie "symbolisiert" für Cox "das Wiedererwachen des Glaubens als Vertrauen und verkörpert die Wiedergewinnung der Kernbotschaft des Evangeliums". Bei einer anderen Bewegung, die in Lateinamerika, ja weltweit eine noch wichtigere Rolle spielt, bei den Pfingstlern, ist sich Cox nicht ganz sicher. Mal ruft er sie als Zeuge für das anbrechende "Zeitalter des Geistes" auf, dann meint er wieder, es sei "noch offen, ob die Pfingstchristen letztlich daran beteiligt sein werden".

Schlicht falsch ist Cox' Behauptung, dass die römisch-katholische Gemeinschaft Sant' Egidio "sich auf die tatsächliche Nachfolge Jesu gründet und nicht darauf, dass man Aussagen über ihn bejaht". Sicher tut Sant' Egidio viel Gutes, aber nur im Rahmen der vom Vatikan vorgegebenen Dogmatik und Ethik.

Freilich, auch wenn man die eine oder andere Aussage bezweifelt, insgesamt regt Cox' Buch zum Denken an. Denn richtig ist: "Rechtgläubige" Christen wie Atheisten verfehlen den Glauben, weil sie ihn auf ein Fürwahrhalten von vermeintlich historischen Tatsachen und dogmatischen Aussagen über Gott und Jesus reduzieren. So wird vielen Zeitgenossen der Zugang zum Christentum verbaut.

Liberale Christen sollte dagegen Cox' Kritik an der historisch-kritischen Auslegung der Bibel nachdenklich stimmen. Natürlich kann diese verhindern, die Bibel willkürlich auszulegen. Aber sie kann auch dazu führen, dass Nichttheologen wie Theologen meinen, man könne die Bibel nur noch mit Hilfe eines wissenschaftlichen Kommentars lesen - und dass sie es dann ganz bleiben lassen. Cox hat seine Studenten dagegen ermutigt, "sich so in die Bibel zu versenken, wie sie es mit einem spannenden Roman oder einem guten Film auch tun würden".

Bibel wie einen spannenden Roman lesen

Sein Buch gewinnt auch dadurch an Reiz, dass es theologische Aussagen immer wieder, aber unaufdringlich, mit der eigenen Biographie verknüpft. So beschreibt Cox mit einem Augenzwinkern die Audienz bei Kardinal Joseph Ratzinger, wobei der konservative Katholik aus Bayern mit dem progressiven US-Baptisten nicht viel anfangen konnte. Trotzdem erliegt Cox keinen antipapistischen Ressentiments. Er ist vielmehr "gewiss", dass das Papsttum "für das Christentum der Zukunft von Bedeutung" ist, indem es zum Beispiel Christen und Angehörige andere Religionen zusammenbringt.

Abschließend stellt Cox fest: "Der Glaube lebt wieder auf, während das Dogma stirbt." Inwiefern das Christentum ganz ohne Dogmen auskommen kann, ist zu diskutieren. Dazu regt dieses Buch an. Vor allem aber macht es Lust, sich auf einen Glauben einzulassen, der auf Erfahrung beruht und dessen Wesen Vertrauen ist, und für eine offene Kirche zu kämpfen, die ein menschenfreundliches Christentum praktiziert.

Harvey Cox: Die Zukunft des Glaubens. Wie Religion wieder zu den Menschen kommt. Kreuz Verlag, Freiburg 2010, 260 Seiten, Euro 19,95.

Jürgen Wandel

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