Gute Gespräche

Neujahrswünsche
Ich erhoffe vom neuen Jahr eine Verbesserung unserer Gesprächskultur: dass man mit denen redet, über die man redet und für die man entscheidet. Ich wünsche mir, dass die aktuellen Tagesfragen verbunden werden können mit den Grundfragen nach dem Guten der Gesellschaft.

Ein Jahreswechsel gibt Gelegenheit innezuhalten, die wichtigsten Ereignisse und Debatten des vergangenen Jahres Revue passieren zu lassen und sich über Hoffnungen und Befürchtungen für das neue Jahr klar zu werden. Im Blick auf unsere Gesellschaft erscheinen mir im Rückblick vor allem zwei Dinge besonders nachdenkenswert: die bedrückend verlaufene Integrationsdebatte und die Auseinandersetzungen um "Stuttgart 21".

Die Integrationsdebatte hat uns mit der Frage konfrontiert, wie unsere Gesellschaft beschaffen sein soll. Das ist keine Frage nach den kulturellen Prägungen der Gesellschaftsmitglieder, ihrem Bildungshintergrund oder gar ihrer vermuteten Intelligenz. Die Frage lautet vielmehr: Was betrachten wir als eine gute Gesellschaft? Was ist das Gute, das wir in unserer Gesellschaft gemeinsam anstreben sollen - das gemeinsame Gute, für das es in einer pluralistischen Gesellschaft notwendigerweise vielfältige verschiedene Gründe geben wird?

Was betrachten wir als eine gute Gesellschaft?

Die Auseinandersetzungen um "Stuttgart 21" mit dem gleichsam nachklappenden Bürgerprotest haben deutlich gemacht, dass angesichts der Verkantungen, in die Landespolitik, Stadtplanung, Wirtschaftsinteressen und das Interesse breiter Bevölkerungsschichten an ihrer Stadt geraten sind, demokratische Grundwerte wie die Transparenz der Entscheidungsfindung und das Mitspracherecht der Bevölkerung buchstäblich auf der Strecke bleiben können.

Wie können wir vermeiden, dass die für die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung notwendigen Gespräche erst im nachträglichen Schlichtungsverfahren geführt werden? Wie können Entscheidungen in den neuen Konstellationen von Unternehmensplanung, Politik und Bürgerinteressen von Anfang an von einer demokratischen Verständigungskultur begleitet sein?

An beiden Vorgängen beunruhigt mich der Mangel an Gesprächskultur. Es ist schon paradox! Wir sind kommunikativ so vernetzt wie nie zuvor und wir sind immer weniger über die Grundfragen unserer gesellschaftlichen Zukunft im Gespräch. Eine demokratische Gesellschaft lebt von dem andauernden Gespräch über die gute Gestaltung ihrer Zukunft. Es verbin­det die Debatten in den gewählten Entscheidungsgremien mit denen, die sie wählen, weil sie von ihren Entscheidungen betroffen sind.

Ich erhoffe vom neuen Jahr eine Verbesserung unserer Gesprächskultur: dass man mit denen redet, über die man redet und für die man entscheidet. Ich wünsche mir, dass die aktuellen Tagesfragen verbunden werden können mit den Grundfragen nach dem Guten der Gesellschaft.

Kirche als ein Beispiel des Lebens

Ich erwarte von meiner Kirche, dass sie ihrem Selbstverständnis als Geschöpf des Wortes Gottes treu bleibt und die gesellschaftlichen Tagesfragen einleuchtend in Beziehung setzen kann mit den Grundzusagen des Evangeliums. Ich erhoffe mir, dass sie - auch im Umgang mit ihren Fehlern - als Kirche ein Beispiel des Lebens im Gespräch ist, in dem Unterschiede nicht als Ausschluss­grund, sondern als Bereicherung der Gemeinschaft zur Sprache kommen.

Am Jahresanfang leitet das Nachdenken über Befürchtungen und Hoffnungen zu guten Wünschen für das neue Jahr über. Möge das Neue Jahr für Sie als ein Jahr guter Gespräche gesegnet sein!

Christoph Schwöbel ist Theologieprofessor in Tübingen und Mitherausgeber von zeitzeichen.

Christoph Schwöbel

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