Auch Fortune ist nötig

Die geplante Bundeswehrreform ist angesichts neuer Aufgaben unumgänglich
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Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden der Bundeswehr von der Politik neue Aufgaben zugewiesen und stellte sie vor neue Herausforderungen. Dem soll jetzt eine Reform Rechnung tragen, die die Bundeswehr stärker verändert als je zuvor.

"Vom Einsatz her denken" ist die Überschrift über die Reform, die Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg der Bundeswehr verordnet hat. Diesem Ziel muss sich unterordnen, was mit der Bundeswehr geschehen soll. Der Startschuss fiel auf der Bundeswehrtagung am 22. November des vergangenen Jahres in Dresden.

Dass es erhebliche Mängel bei der Bundeswehr gibt, ist für jeden Beobachter offenkundig. Die Kompetenzen sind nicht klar, an verschiedenen Stellen gibt es Doppelstrukturen, vieles ist zu schwerfällig. Manche meinen auch, es sei nicht hinnehmbar, dass die Bundeswehr bei einer Gesamtstärke von rund 250. 000 Soldaten bereits ächzt, wenn gerade einmal knappe 7.000 im Einsatz sind.

Erhebliche Mängel

Das ist nicht ganz fair, denn das Ächzen rührt daher, dass bei den Einsätzen im Kosovo, in Bosnien und vor allem in Afghanistan im Wesentlichen dieselben Verbände gefordert sind - die Fähigkeiten, die dort gebraucht werden, sind ähnlich, die Einsätze vergleichbar. So sind diese Verbände sehr belastet, andere dagegen weniger.

Die Rahmenbedingungen für eine Reform sind gegenwärtig so günstig wie selten zuvor. Es ist überdeutlich, dass durch die Erfahrungen in den Einsätzen ein Zustand er­reicht worden ist, der zum Handeln zwingt, wenn man an der Einsatzplanung und -durchführung nicht ersticken will. Hin­zu kommt die Notwendigkeit, einen Beitrag zur Sparpolitik der Bundesregierung zu leisten. Geldknappheit befördert bekanntlich die Kreativität. Und: Es gibt einen Minister, der politisch erst nach dem Ende des Kalten Krieges sozialisiert worden ist, der sich nicht groß aus alten Fixierungen lösen muss und der entschlossen ist, die Reform zu stemmen.

Dabei beginnt die Bundeswehr nicht erst jetzt mit den Reformen. Immer wieder wurde nachgesteuert. Der damalige Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan sprach sogar von "Transformation statt Reform", von einem andauernden Prozess der Umgestaltung, der ständigen Anpassung an Einsatzerfordernisse. Nach dem Ende der Blockkonfrontation wuchs die Bundeswehr langsam in die Auslandseinsätze hinein. Über Kambodscha und Somalia ging es bis zum Balkan und nach Afghanistan. Später kamen die Marineeinsätze gegen die Piraten und vor dem Libanon hinzu. Es wurden nicht nur immer mehr Soldaten angefordert, sondern auch das Spektrum der Einsätze erweitert - bis hin zum Luftkrieg um das Kosovo und die kriegsähnlichen Zustände in Teilen Afghanistans.

Regelmäßige Kurskorrekturen

Die Kurskorrekturen fanden regelmäßig statt - und die meisten fanden damals auch, dass sie richtig gewesen seien. Die Aufteilung in Einsatzkräfte, Stabilisierungskräfte und Unterstützungskräfte trug auch der Tatsache Rechnung, dass die Lage in Europa damals noch nicht so stabil war, wie sie heute zu sein scheint. Erst durch die Erweiterungsrunden der NATO und die langsame Befriedung des Balkans haben sich die Schwerpunkte zu den Auslandseinsätzen verschoben.

Die Entscheidung, künftig ohne Grundwehrdienstleistende auskommen zu wollen, ist der spektakulärste Reformschritt. Selbst wenn noch gewichtige gesellschafts- und sicherheitspolitischen Gründe für die Wehrpflicht sprechen sollten - mit einem sechsmonatigen Wehrdienst ist alledem nicht Rechnung zu tragen. Minister zu Guttenberg hat nun die Aussetzung der Wehrpflicht in erstaunlichem Tempo in den Unionsparteien durchgesetzt. Ab dem 30. Juni 2011 werden keine Grundwehrdienstleistenden mehr in der Truppe dienen, am 1. Januar werden zum letzten Mal junge Männer auf Grund der Wehrpflicht einberufen.

An seine Stelle soll ein freiwilliger Kurzdienst zwischen zwölf und 23 Monaten für Männer und Frauen treten. Ab dem zwölften Monat können diese Kurzdienenden mit in den Einsatz gehen. Sie bekommen dann ab dem ersten Monat einen Zuschlag zum Wehrsold, also kein dem Zeitsoldaten entsprechendes Gehalt. Über weitere Anreize - wie Bonuspunkte bei der Studienzulassung oder Studienplätze an einer der Bundeswehruniversitäten - wird noch nachgedacht; dafür braucht das Verteidigungsministerium die Zustimmung anderer Ressorts.

Der Umbau der Bundeswehr betrifft aber auch die Führungsebene. Zunächst hat Verteidigungsminister zu Guttenberg die Position des Generalinspekteurs gestärkt. Auf der Bundeswehrkonferenz in Dresden sagte er: "Herr General Wieker, Sie werden mir künftig für Führung, Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte sowie den Einsatz der Bundeswehr unmittelbar verantwortlich sein."

Struktuveränderungen

Das heißt im Klartext: Die Inspekteure der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche sind nun dem Generalinspekteur, nicht mehr dem Minister, direkt für die "Bereitstellung der Fähigkeiten" verantwortlich - und dafür müssen sie nicht mehr Teil des Ministeriums sein. Die Vertretung der ganzen Bundeswehr gegenüber dem Minister, auch gegenüber dem Parlament, ist Aufgabe des Generalinspekteurs, nicht mehr die der Inspekteure der Teilstreitkräfte.

Das eröffnet dann weitere Möglichkeiten: Nun können Ämter, Führungskommandos der Teilstreitkräfte und andere Kommandobehörden außerhalb des Ministeriums zusammengefasst werden. Von vier Kommandoebenen hat die Strukturkommission geschrieben, auch von neuen Ideen, wie Kompetenzzentren, in denen teilstreitkraftübergreifend Fähigkeiten gebündelt werden können. Vorschläge dazu soll eine Arbeitsgruppe unter Staatssekretär Walther Otremba bis Ende Januar vorlegen. Ob der Generalinspekteur die ihm auch zugedachte Aufgabe des sicherheitspolitischen Beraters der Bundesregierung behalten soll, geht aus dieser Aufgabenzuweisung nicht hervor.

Um die Gesamtstärke der Bundeswehr gab es eine intensive Diskussion. Zu Guttenberg favorisierte im Sommer ein Modell, nach dem die Bundeswehr auf 163.000 Zeit- und Berufssoldaten reduziert werden soll. Die Aufgaben, die er der Bundeswehr zuschrieb, wären damit nur sehr knapp zu erledigen. Die politische Diskussion machte deutlich, dass nach Ansicht der Experten 180.000 bis 185.000 Soldaten nötig sind. Diese Zahl hat der Minister zuletzt in Dresden genannt.

Sicherung von Handelswegen durch Bundeswehr

Er hat hinzugefügt, dass über die Verteilung dieser Soldatenstellen intensiv nachgedacht werden müsse. Damit steht auch das Verhältnis der Teilstreitkräfte untereinander auf dem Prüfstand, ein Umstand, der bisher außer Acht blieb. Was dies bedeutet, mag ein Beispiel erläutern: Mit dem Hinweis, dass die Sicherheit der Handelswege ein gegebenenfalls auch zu den Aufgaben der Bundeswehr gehörendes Interesse Deutschlands sei, wurde der Marine konzeptionell mehr Gewicht beigemessen. Kann sie diesem Gewicht mit dem Anteil an Personal und Material entsprechen, den sie jetzt hat? Oder bedarf es dafür einer Steigerung ihres Anteils?Dass darüber nun auch gesprochen wird, zeigt, dass diese Reform wirklich ernst gemeint ist.

Doch die Reform ist noch lange nicht in trockenen Tüchern, denn über die Finanzierung ist bisher nichts gesagt worden. Im Sommer hieß es, bis 2014 müsse die Bundeswehr 8,3 Milliarden Euro einsparen. Dann folgte die Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrem Sommerurlaub, an einer oder zwei Milliarden werde die Sicherheit Deutschlands nicht scheitern. Seither ist über Sparbeträge recht wenig öffentlich verlautet worden.

Man spart zwar durch den Wegfall der Wehrpflicht einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr, aber die Mannschaftsdienstgrade, die die Bundeswehr ja weiterhin braucht, müssen nun besser bezahlt und aufwändiger rekrutiert werden. Da die Grundwehrdienstleistenden als Reservoir für künftige Zeit- und Berufssoldaten wegfallen, muss auch hier mehr Geld in die Werbung investiert werden. Damit dies greifen kann, müssen Attraktivitätsangebote gemacht werden, die man sich auch einiges kosten lassen muss. Es wird immer wieder gesagt, dass eine solche Reform eine Anschubfinanzierung brauche. Nur: Einer der Gründe für die Reform ist die aktuelle Geldknappheit.

Ein weiteres Kapitel ist die Ausrüstung der Bundeswehr. Zu lange und zu umständliche Beschaffungswege werden schon lange beklagt. Einsatzerfahrungen werden nur mit großer Verzögerung in der Ausrüstung berücksichtigt. Die Strukturen müssen deutlich gestrafft werden. Die Strukturkommission schlug vor, eine Bundeswehr-"Agentur für Beschaffung" zu schaffen, in der die Hauptabteilung Rüstung, das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung und das IT-Amt zusammengefasst werden. Ob es dazu kommt, steht noch aus.

Abbau im Ministerium

Ein weiteres Feld ist die Organisation des Ministeriums. Auch hier soll die Einsatzorientierung strukturbestimmend werden: Künftig sollen nur noch 2.000 Beschäftigte im Ministerium arbeiten. Der Abbau im Ministerium geht einmal über die Ausgliederung der Inspekteure mit ihren Stäben, dann über die Zusammenfassung von Aufgaben. So sollen in nahezu allen ministeriellen Abteilungen künftig Soldaten und zivile Mitarbeiter gemeinsam arbeiten. Damit wird sich einiges verändern. Für die ganze Bundeswehr gilt, dass die zivilen Mitarbeiter ebenfalls reduziert werden sollen, von gegenwärtig 90.000 auf 65.000. Alles in allem ist dies eine radikalere Reform als alle Reformen zuvor.

Viele Ideen sind nicht neu: manch einer, der an früheren Reformschritten beteiligt war, blickt neidvoll auf das, was jetzt möglich scheint. "Damals", so meinte einer von ihnen, "hatten wir niemanden in der Politik, der einen solchen Weg mitgegangen wäre." Nun kommt es darauf an, dass die Reformbereitschaft in der Bundeswehr und der Politik einen langen Atem hat und dass sie in die nötige Finanzierung mündet. Und dann braucht man auch Fortune. Denn: Wer sagt denn, dass sich in den kommenden Jahren ausreichend Freiwillige melden werden, um in der Bundeswehr ihren Dienst zu versehen? Da sind viele, auch im Apparat, eher skeptisch. Nur wenn alles passt, wird die Bundeswehr in einigen Jahren für ihre Aufgaben besser gerüstet sein.

Rolf Clement, sicherheits- und verteidigungspolitischer Korrespondent des Deutschlandfunks und Mitglied des Beirats für Innere Führung beim Verteidigungsministeriums, über den Weg dahin.

Rolf Clement

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