Im Einsatz wofür?

Abkapselung oder Integration? Zur gegenwärtigen Reform der Bundeswehr
Ein Bundeswehrsoldat zusammen mit einem Soldat der Afghanischen Nationalarmee auf Erkundungsgang. (Foto: dpa/Maurizio Gambarini)
Ein Bundeswehrsoldat zusammen mit einem Soldat der Afghanischen Nationalarmee auf Erkundungsgang. (Foto: dpa/Maurizio Gambarini)
Um die Basis für das zukünftige Berufsbild zu legen, ist ein offener Diskurs vonnöten. Ein enges militärisches Denken, das in vielen Ecken der Kasernen, Stäbe und im Ministerium noch vorherrscht, könnte den Umschwung lähmen.

Es ist schwer mit ihr. Die einen sind stolz auf sie; andere beachten sie gar nicht, sie sei doch unauffällig, völlig normal; ein kleinerer Teil der Gesellschaft aber würde sie am liebsten ganz abschaffen. Sie, die Bundeswehr, ist, von außen betrachtet, ein wundersames Ding.

Welch ein Wandel der Zei­ten: vor einhundert Jahren war die Armee eine ­schim­mernde Säule des Reiches, wenige Jahrzehnte später wurde das Militärische im Zeichen des Nationalsozialismus so sehr allgemeines Vorbild, dass die Uniform allerorten zum Selbstverständnis einer geradezu uniformierten Gesellschaft wur­de. Die Lage im heutigen Deutschland ist demgegenüber von anderer Natur.

Eine schimmernde Säule

Doch auch in der Bundesrepublik waren Staat und Militär von Anfang an aufeinander bezogen. Die Bonner Republik wurde mit Militär begründet. Die 1955 erlangte Souveränität war direkt an die "Wiederbewaffnung" gekoppelt. Unter allen Kanzlern wurde der nationale Status mit auf militärische Potenziale gegründet. Kanzler Konrad Adenauer folgte als nationaler Realpolitiker den Spuren eines Bismarckschen Staatskonzepts.

Das verlor auch Kanzler Willy Brandt in seiner Vision der Entspannungspolitik nicht aus den Augen, als er mit erhöhten Aufwendungen für die Sicherheit - in der Verantwortung von Minister Helmut Schmidt - die internationale Stabilität neu ausbalancierte. Die Anerkennung der Westbindung war unbestritten, sie bedeutete für die Bundeswehr, dass sie schon durch ihre Einbindung in das NATO-Bündnis auch unter ständiger Kontrolle stand.

Die Rechte der alliierten Siegermächte, wie sie in Potsdam 1945 formuliert worden waren, gestalteten den Übergang vom besatzungsrechtlich "penetrierten System" bis hin zur Souveränität des vereinten Deutschlands im Jahr 1990. Die Machtgeometrie über den Atlantik bleibt beherrschend, auch nach dem Ende des Kalten Krieges.

Die Weichen für diese historisch neuartige Stellung des deutschen Militärs stellte die Politik in der frühen Bonner Republik wegen der Erfahrungen des Militarismus und der Wehrmacht im NS-Regime: Die Bundeswehr sollte eine de­mokratische Armee, kein Fremdkörper in der Demokratie sein.

Die Idee der demokratischen Reform des Militärs fand im Begriff des "Staatsbürgers in Uniform" ihren Ausdruck, den General Wolf Graf von Baudissin für die Leitkultur der Bundeswehr fasste. Sie sollte nach innen und außen die traditionelle soziale Abschottung nach dem Modell der Klas­sengesellschaft durch die Prinzipien der "Inneren Führung" überwinden und ebenso den Primat der parlamentarischen Politik wie die Offenheit zur Gesellschaft gemäß den Werten des Grundgesetzes sichern.

Staatsbürger in Uniform

Doch es lief nicht alles so glatt. Schon die Planungen einer "neuen Wehrmacht" in Bonn seit 1950 weisen auf das Fortwirken alter Orientierungen, trotz der "Wehrgesetze" der Jahre 1954 bis 1956. Die Bundeswehr schwankte zwischen Demokratietauglichkeit und bedenklichem Traditionalismus - für lange Zeit eine schwere Hypothek.

Armeen leben immer auch aus Traditionen, und das schließt in der Regel ein Beharrungsvermögen im Überkommenen ein, das gern notwendige Neuerungen verhindert. Mit anderen Worten: Reformvorhaben haben erst dann eine Chance, wenn es einen massiven Stau an Handlungsnotwendigkeit gibt.

So auch bei den gegenwärtigen Reformunternehmen. Seit dem vorigen Jahr liegen gravierende Defizitanalysen vor, die Minister Karl-Theodor zu Guttenberg zum politischen Handeln drängen. Es gab allerdings schon einmal tiefe Eingriffe in Fundament und Struktur des Militärs.

Das Epochenjahr 1969 wird gerne unterschätzt, wenn man seine Bedeutung auf den Politikwechsel im Kanzleramt von der CSU zur SPD begrenzt. Doch was die Bundeswehr angeht, so steckte sie tief in der Misere. Ihr wurde eine unzureichende Professionalität bescheinigt, sie erfülle den Verteidigungsauftrag nur bedingt; fachliche Ausbildung und die Beherrschung der modernen Waffensysteme blieben weit hinter den notwendigen Standards zurück.

Unzählige Unfälle mit Todesopfern waren an der Tagesordnung, Affären und Skandale wiesen auf Drill- und 08/15-Methoden vergangener Zeiten hin. Das wehrmachtsbezogene Leitbild des An­fangs war an sein Ende gekommen. Die Bundeswehr war, was das militärische Handwerk und die "Innere Führung" betraf, nicht auf der Höhe der Zeit.

1969: Nicht auf der Höhe der Zeit

Hinzu kam, dass die Beziehungen zur Gesellschaft von Spannungen bestimmt waren. Das hatte nur vordergründig mit dem Aufbegehren der 68er-Generation zu tun. Zwar hatten schon Konrad Adenauer pazifistische Lehren aus dem Krieg und Bedenken gegenüber dem Militär entsetzt.

Doch weniger sie als der nur unzulänglich bereinigte militärische Traditionalismus belastete die Beziehungen zur Gesellschaft, wie die Berichte der Wehrbeauftragten krass zeigten: die Reform der "Wehrgesetzgebung" und das Konzept der "Inneren Führung" waren offenbar nur formal installiert.

So war die Leitungskompetenz der Politik nachdrücklich herausgefordert. Verkrustete Hierarchiestrukturen er­schwer­ten Überblick und Durchgriff. Darüber hinaus setzte ein großer Teil der Generalität am Ende der Sechzigerjahre alles daran, die parlamentarische Kontrolle und den Primat der Politik in einem verdeckten Machtkampf um Grundgesetzänderungen aufzuweichen.

Gleiche Augenhöhe zur Politik stand zur Debatte - ein Blick in den Abgrund der Vergangenheit. Ein Glücksfall der Geschichte war, dass der kluge Generalinspekteur Ulrich de Maizière loyal mit dem die Übersicht bewahrenden Helmut Schmidt das Steuer wenden konnte; sie schlugen der Hydra die Köpfe ab. Nahezu fünfzig Generäle wurden gefeuert.

Schmidt entwarf nun eine Reform an Haupt und Gliedern: für berufliche Effizienz; für Geltung des Wertekanons der Verfassung im Militär; für die Öffnung zur pluralistischen Gesellschaft sowie für die Akzeptanz des Status, Berater und nur Berater der Politik zu sein, der die Entscheidung vorbehalten blieb. Danach folgte die Epoche, in der die Bundeswehr als "normale" deutsche Armee angesehen war, man kann auch sagen: die Armee war in der Demokratie angekommen.

Doch die Zeiten änderten sich und mit ihnen die Lage der Bundeswehr. Mit der deutschen Einigung am 3. Oktober 1990 war ihr der Gegner abhanden gekommen. Mit Vorsicht wagte sich - die neue Friedensordnung vor Augen - Generalinspekteur Dieter Wellershoff mit einem "erweiterten Sicherheitsbegriff" aus der Deckung: "Helfen, retten, schützen!"

Verkrustete Hierarchiestrukturen

Diese Version erinnerte an humanitäre Blauhelmmissionen. Bei Militär und Politik stießen die Argumente für einen militärischen Einsatz im Falle der Verletzung von Frie­den, Völkerrecht oder Menschenrechte auf Zu­stim­mung. Die deutsche "Verantwortung in der Welt" gab das Ziel für die militärpolitischen und -strategischen Grundlagen im Januar 1992; die "Armee im Einsatz" sollte weit mehr als Blau­helme leisten. Mit der Sicherung des Zugangs zu strategischen Rohstoffen als einer militärischen Aufgabe kamen auch nationale Interessen wieder in ganz neuer Weise ins Spiel.

Damit hatte die Bundeswehr selbst ein Entwicklungsproblem. Das globale Einsatzspektrum der Politik des "Um­baus" gemäß den Bedingungen eines asymmetrischen Krieges und des Friedensauftrags konkurrierte mit dem Kriegstyp der Massenarmee und ihrer Waffensysteme.

So beharrten zum Beispiel die Traditionalisten im Heer auf Panzertruppen gemäß den Szenarien aus der Zeit des Kalten Krieges. Widersprüchlich spiegelt sich dies im Selbstverständnis der Soldaten; hieß es im Kalten Krieg noch "Kämpfen können, um nicht eingesetzt zu werden" galt nun die Parole "Kämpfen können und kämpfen wollen". Mancher verstand das so, als sollten Ethos und Erziehung nun auf "die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr" reduziert werden.

In der Bundeswehr entstand so etwas wie ein Kämpferkult. Das ging nicht ohne bedenkliche rückwärtsgewandte Ten­denzen in der Bundeswehr ab. Hie und da konnte man hören, Gesellschaft und Militär hätten eben einfach unvereinbare Grundsätze.

Wehrmachtstraditionen fanden wieder Eingang in die Ausbildung, sogar der Ostfeldzug wurde entpolitisiert und so Vorbild in der taktischen Lehre. Die Auseinandersetzungen um die Ausstellung "Vernichtungskrieg" erklären sich vor diesem Hintergrund. Die Bundeswehr schien auf den Weg zu geraten, sich von der Gesellschaft ab­zukapseln.

Bei Zapfenstreich oder Gelöbnissen ist die Bevölkerung ausgeschlossen - die in den Scheinwerfern der Medien glänzenden Veranstaltungen setzen polizeiliche Absperrungen gegen Proteste voraus. Hier zeigt sich, dass ein Teil der Ge­sellschaft immer noch auf Distanz zur Bundeswehr geht. Ge­genkulturelle Entwicklungen befürchten die einen, andere sehen die zivilmilitärischen Beziehungen im Argen liegen.

Die Kontroll- und Leitungskompetenz der Politik ist über Jahrzehnte erodiert. Es gelang ihr nicht, den nach 1990 reformulierten Auftrag in der Bundeswehr umzusetzen. Immerhin ein Minister legte die Kalte-Kriegs-Brille endlich ab.

Peter Struck hat in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003 im Einklang mit der ausformulierten nato-Strategie das militärische Aufgabenfeld umrissen: "Krisen und Konflikte, Bedrohungen und deren Ursachen im erweiterten geographischen Umfeld".

Strukturelles Politikversagen

Die terminologische Vagheit zeigt die Schwierigkeiten, den postnationalen Typ der Einsätze zu definieren. Aber auch Struck scheiterte mit den Folgemaßnahmen für Rüstung, Ausbildung, Kompetenzen und Struktur.

Die Bundeswehr ist professionell und rüstungstechnisch um Jahrzehnte zurück. Politik und Parlament haben Anteil am strukturellen Politikversagen: Schon 2000 hatte Altbundespräsident Richard von Weizsäcker in einem Kommissionsbericht dieses Urteil - die Bundeswehr sei zu groß, falsch zusammengesetzt und zunehmend unmodern - schonungslos und klar benannt.

Der ominöse Begriff der "Transformation" begleitet die Bundeswehr nunmehr seit Jahren. Er signalisiert, dass die Verteidigungsarmee des Kalten Krieges Vergangenheit ist und stattdessen das Aufgabenspektrum radikal erweitert wurde.

Struck wollte mit dem Wort, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, die bestehende Ambiguität von Landesverteidigung und globalem Einsatz versöhnen und den Gegensatz aufheben. Doch er hat die Problematik nur kaschiert. Die Suche nach Vergewisserung verlangt, den tiefer liegenden Ursachen nachzuspüren.

Am Anfang steht die Verfassung. Das Friedensgebot des Grundgesetzes steht am Anfang und am Ende jeden Einsatzes. Die Politik kann nicht umhin, die Garantiefunktion des Staates für Freiheit und Frieden auch bei seinen Militäraktionen im internationalen Verbund, im Konsens mit der uno und in ihrem Auftrag zu berücksichtigen.

"Komplexe Friedensmissionen" sind daher mitnichten Interventionen zur Aufstandsbekämpfung oder Unterwerfung, gar Besetzung eines Territoriums, sondern - im besten Sinne des Wortes - die Befriedung einer Region zu Wiederaufbau und friedlichen Lebensbedingungen.

Die Fähigkeiten des Kämpfens und Helfens sind demnach nicht konträre soldatische Kompetenzen, sondern symbiotische Schlüsselqualifikationen. Die Einsatzlage im asymmetrischen Einsatz ist unübersichtlich. Der Verlust der Eindeutigkeit und das Fehlen der Frontverläufe zwischen freundlichen und feindlichen Kräften erzeugt ein nicht-lineares Gefechtsfeld. Ungewissheit ist das Kennzeichen

Diese An- und Herausforderungen müssen in Balance stehen zu Ausbildung und Ausrüstung; Berufsidentität und -zufriedenheit ist neu zu definieren. Der militärische Beruf steckt in der Krise.

Die Professionalität verlangt, sich vom alten Kämpferkult zu verabschieden und an den Realitäten angemessen zu orientieren. Kämpfenkönnen reicht nicht aus. Das Leitbild der "ewigen Tugenden" ist obsolet: Disziplin und Pflicht, Gehorsam, Tapferkeit und Kameradschaft sind anders zu interpretieren als im Kalten Krieg oder gar beim Ostfeldzug der Wehrmacht und unterscheiden sich erst recht von den Tugenden eines Helden im antiken Epos.

In Afghanistan werden die internationalen Kräfte nicht als Sieger über einen Feind gefeiert; eine Siegesparade ist auch in Berlin nicht vorstellbar.

Am Anfang und am Ende: das Friedensgebot

Um die Basis für das zukünftige Berufsbild zu legen, ist ein offener Diskurs vonnöten. Ein enges militärisches Denken, das in vielen Ecken der Kasernen, Stäbe und im Ministerium noch vorherrscht, könnte den Umschwung lähmen. Absolut notwendig ist es, die Werte der "Inneren Führung" erneut zu beleben und überhaupt wieder wahrzunehmen.

Mit Kärrnerarbeit müssen die Vorbehalte gegen diese demokratische Leitkultur der Bundeswehr - "Innere Führung" sei nicht kompatibel mit der "Armee im Einsatz" - überwunden werden. Gerade das Konzept der "Inneren Führung" bietet alle Voraussetzungen, diese Armee aufgabengerecht für Friedensmissionen auszustatten.

Das Reformkonzept der Bundeswehr wird mittelfristig realisiert. Sein Erfolg hängt davon ab, ob es gelingt, die Richtungsdebatte um die Modernisierung der Armee plausibel und konsistent in der Bundeswehr und mit der Gesellschaft abzustimmen, wobei die angestrebte politische Verantwortung im Sicherheitsrat der uno auch obligatorisch für die militärische "Verantwortung in der Welt" ist.

Dieses Projekt benötigt Anerkennung innerhalb der Bundeswehr. Dafür braucht es auch Mut, traditionalistischen Ballast über Bord zu werfen. Das Wofür der Einsätze wird sich an Ausbildung und Ausrüstung messen. Die Erfahrungen in Afghanistan allein können nicht den ausschließlichen Maßstab für das Militär der Zukunft bilden.

Vielmehr sind alle Einsätze der letzten Jahrzehnte auszuwerten und auf den Wertekanon sowie die Interessen dieser Republik zu beziehen. Würde man die Afghanistan-Erfahrungen zur Folie für die Streitkräfte der Zukunft machen, belastete dies das Erfordernis, das weite Feld realistischer Missionen mit allen Voraussetzungen in die neue Gestalt der Bundeswehr fließen zu lassen.

Das gegenwärtige, hauptsächlich auf Einsatzeffizienz setzende Konzept ist demgegenüber ein echtes Hindernis für die gesellschaftliche Legitimation, weil es das Friedensgebot nicht widerspiegelt. Die Begründung für die traditionelle "Schicksalsgemeinschaft" von Volk und Militär, nämlich die Verteidigung der Heimat, hat kaum noch Strahlkraft, sie generiert bei globalen Einsätzen keine Glaubwürdigkeit, erst recht dann nicht, wenn ökonomische Argumente und materielle Interessen überwiegen.

Legitimation von Einsätzen ist immer eine Medaille, auf deren Rückseite eine glaubwürdige Begründung stehen muss, weshalb und mit welchen Mitteln in diesem konkreten Fall für das Ziel des Friedens gekämpft wird.

Detlef Bald ist Politik­wissenschaftler und Publizist in München.

Detlef Bald

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