Der Preis der Freiheit

Vom realistischen Umgang mit Schuld
Foto: privat
Wer Schuld auf sich lädt, schadet dem Leben, dem eigenen Leben und dem Leben anderer. Wenn ein Mensch seine eigene Schuld erkennt, spürt er seine Grenzen.

Schuld ist der Preis der Freiheit. Zugegeben, auf den ersten Blick erscheint diese These irritierend. Ist es nicht so, dass wir in Situationen, in denen wir schuldig geworden oder anderen etwas schuldig geblieben sind, uns alles andere als "frei" gefühlt haben? Das Versprechen - gewollt oder ungewollt - gebrochen, der verletzende Satz, das versäumte versöhnliche Wort ... Und wenn durch das eigene Tun oder Lassen ein Mensch ernsthaft zu Schaden gekommen, an Leib und Leben verletzt worden ist, klingt dann diese The­se nicht sogar zynisch?

Wer Schuld auf sich lädt, schadet dem Leben, dem eigenen Leben und dem Leben anderer. Wenn ein Mensch seine eigene Schuld erkennt, spürt er seine Grenzen. Es wird ihm bewusst, dass er angewiesen ist auf Ver­gebung und Versöhnung. Wir Christenmenschen sind auf die Gnade Gottes angewiesen und auch auf die ausgestreckte Hand unserer Mitmenschen.

Den realistischen Umgang mit Schuld scheuen

Wenn wir uns aber selbst genug sind, wenn wir unser Selbstwertgefühl und unsere Menschenwürde allein in unserem eigenen Tun und Lassen begründet sehen, dann scheuen wir den realistischen Umgang mit der eigenen Schuld. Wir setzen oft alles daran, diese Seite unseres Lebens zu verbergen, nach Möglichkeit nur unsere Schokoladenseite zu zeigen und Fehler lieber nicht zuzugeben.

Ich denke etwa an die schrecklichen Ereignisse bei der Loveparade in Duisburg, aber auch an Spendenaffären oder so genannte moralische Fehltritte von Staatsoberhäuptern, Politikern und auch Kirchenmenschen. Ist es nicht so: Je weiter "oben" einer auf der Leiter steht, je mehr Macht sie besitzt, desto mehr setzt die Angst zu, durch das Bekennen von Schuld die Selbstachtung und damit auch die gesellschaftliche Anerkennung zu verlieren? Woher kommt es, dass wir dem Wahn verfallen, ein Leben ohne Verfehlung, ohne Schuld sei möglich?

Vielleicht hilft die Erinnerung an eine Geschichte ganz am Anfang der Bibel: Adam und Eva, die Schlange, der Apfel - Sie erinnern sich? Ein Lehrstück der gegenseitigen Zuschiebung von Schuld: Eva war's, die Schlange war's ... Die Frucht des verbotenen Baumes schenkte den Menschen die Erkenntnis von Gut und Böse, aber damit auch die Freiheit zur Entscheidung und die Fähigkeit, schuldig zu werden. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

Nicht meiner Schuld verhaftet

Die Schuld ist der Preis der Freiheit. Ein Leben in Freiheit und Verantwortung kann also nie heißen: schuldloses Leben, sondern es heißt, immer wieder auch zu versagen. Wenn Gott dann ruft: "Adam, wo bist du?!" hilft nur das Bekenntnis der eigenen Schuld, um dann zu erfahren: Ich bin, Gott sei Dank, mit meiner Schuld von Gott geliebt. Ich bleibe nicht in meiner Schuld verhaftet. Nicht, dass wir schuldig werden, trennt uns Menschen von Gott, sondern dass wir immer wieder versuchen, uns selbst zu rechtfertigen. Seit Jesu Tod gilt für uns: als Schuldige sind wir gerechtfertigt.

In dieser Gewissheit können wir die volle Verantwortung für unser Tun über­nehmen. Wir müssen dem Impuls der Selbstrechtfertigung, der Fremdzu­schreibung und des Wegduckens nicht nachgeben. Kein "Ich wollte doch nur", "Ich war's nicht", "Ich hatte gedacht..." Sondern: "Ja, Gott, ich weiß, das war ein Fehler. Es tut mir leid." Ein Einstehen für die eigenen Fehler, ein echtes Be­reuen, eine Umkehr, die Vergebung und Versöhnung ermöglicht. Es ist schon richtig: Schuld ist der Preis der Freiheit. Aber er ist bezahlt. Gott sei Dank.

Nikolaus Schneider ist EKD-Ratsvorsitzender und Mitherausgeber von zeitzeichen.

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Nikolaus Schneider

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