Der Mann, der euch zu groß ist

Napoleon und Europa - Reminiszenzen anlässlich einer Ausstellung
Was vom Helden übrigblieb: Hut und  Mantel Napoleons. (Foto: Bundeskunsthalle Bonn)
Was vom Helden übrigblieb: Hut und Mantel Napoleons. (Foto: Bundeskunsthalle Bonn)
Wer war Napoleon Bonaparte? Das Monster von unersättlicher Ruhm­sucht, das Europa unerhört verlust­reiche Kriege bescherte, oder der Halb­gott, der einen heroischen Versuch unternahm, Europa - nur zu seinem Besten - zur Einheit zu ­zwingen? Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle geht dem nach.

Der große Mann ließ den anderen großen Mann eine zeitlang warten, um ihm seine umfängliche Betriebsamkeit vorzuführen - aber was, Betriebsamkeit: das Genie des Weltenlenkers. Endlich wandte sich der große Mann dem anderen großen Mann zu und sprach sein großes Wort: "Voilà, un homme!". Anschließend plauderte Napoleon mit dem zwanzig Jahre Älteren über ­dessen international bekanntestes Werk, Die Leiden des jungen Werthers: Auch er hatte es gelesen und war angetan, hatte aber auch etwas auszusetzen - nichts, was ein Napoleon nicht besser gemacht hätte - nämlich, dass Goethe seinen Helden nicht nur wegen seines komplizierten Liebesverhältnisses deprimiert sein ließ, sondern auch deswegen, weil sich der in der starren Klassengesellschaft eines Duodezfürstentums zurückgesetzt fühlte.

"Voilà, un home!"

Goethe umgekehrt blieb sein Lebtag Napoleonbewunderer, auch als aufflammende nationale Begeisterung dies als nicht geraten erscheinen ließ. Mit Äußerungen freilich hielt er sich zurück. "Ja, schüttelt nur an euren Ketten, der Mann ist euch zu groß!" war da schon das Meiste. Sein unglücklicher Sohn August übrigens trieb die Bonaparteverehrung ins Groteske, sein Zimmer war vollgestopft mit Napoleon-Devotionalien.

Der Mensch Goethe und der zu gro­ße Große, zwei Repräsentanten ei­nes Versprechens: nämlich dass in diesem alten erschöpften, in Brauchtümern, Hader, Unterdrückung, ja Knechtung erstarrten Kontinent endlich das Neue entstehen, der Durchbruch zu Sonne und Freiheit gelingen werde. In Paris hat­te es angefangen: Die Revolution war der Aufbruch, ein hoffnungsfrohes Fanal für jeden, der einen Funken Freiheitsbegier in seiner Brust fühlte. Schrecklich die Enttäuschung, als das, was am Anfang geblendet hatte, im Blutrausch furchtbarer Ideologen endete. Doch dann kam eben er, der kleine Korse. Die Bescheidenheit seiner Erscheinung aber sollte sehr bald hinter dem, was er verkörperte, verblassen: Ein Ungeheuer, meinten die einen - ein Halb­gott, die anderen, bestimmt, den Augiasstall des alten Europa auszumisten.

(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)
(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

J. A. D. Ingres: "Napoleon als thronender Jupiter", 1806.

(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)
(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Brustpanzer des Francois-Antoine Faveau, gefallen bei Waterloo.

(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)
(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Gebrüder Henschel: "Triumph des Jahres 1813".

Er putschte sich an die Spitze des Staates, er siegte an der Spitze französischer Heere als Nachlassverwalter oder Vollender der Revolution, er legte sich mit den alten Mächten an, deren Herrscherhäuser sich als die einzig legitimen verstanden, immer noch von Gottes Gnaden, darauf bestanden sie. Und dann - welche Wende! - warf er sich selbst in deren Kostüm, und kaum jemand wagte, zu lachen. Mit dem sicheren Instinkt des Theatralikers wusste er, dass hier der Fundus bereit lag, den es zu plündern galt, wenn er glänzen und blenden wollte, um Neues zu schaffen. Und in der Tat, viele alte Zöpfe fielen, nicht nur die an den Hinterköpfen. Nun musste alles antikisch sein, aber nicht in stiller Einfalt und edler Größe, sondern grandios, ja monumentalisch; "nur die Lumpe sind bescheiden, Brave freuen sich der Tat", heißt es bei Goethe - daran gemessen, waren die Lumpen im napoleonischen Zeitalter freilich ausgestorben.

Seine Feldzüge gaben ihm bald den Nimbus des Unbesiegbaren, die alten Mächte sanken vor ihm in die Knie, er verschob Grenzen nach Gutdünken, setzte Herrscher ein, wo es ihm passte, ließ, immer und in allem unersättlich, Kunstwerke rauben, wohin er auch kam. Die wurden alle nach Paris geschafft, das erst jetzt in gewaltiger Apotheose Napoleons das werden sollte, als was es lange schon angesehen worden war: das Zentrum Europas, das Zentrum der Macht. Napoleon träumte davon, eine Dynastie zu gründen, nur so konnte er sich vorstellen, dass sein Werk überhaupt fortgeführt werden würde, er war eben Kind seiner Zeit und als Korse Familienmensch. Fast ein we­nig komisch, wie seine Familie ihn sein Lebtag molestierte, ihn drängte, sie doch gefälligst zu versorgen, auch mit Posten; nicht nur seinem Bruder Jerome verhalf er zu einer Königskrone, der gab dann den "König Lustig" von Westfalen.

Die Liebe der Habsburgerin

Doch einer Dynastie zu dauernder Anerkennung verhelfen - das ging nicht ohne die alten Dynastien. Mochte er mit diesen auch nach Belieben umspringen - daran, dass er sie so einfach von der Bühne der Weltgeschichte herunterfegen könnte, glaubte Napoleon nicht. Also heiratete er eine Prinzessin aus dem vornehmsten, vornehmlich in allen Ränken und Überlebenskünsten hocherfahrenen Adelshaus. Eine Habsburgerin - dass schon die unglückliche Marie-Antoinette aus Wien gekommen war, kam als Unglücks-Omen nicht in Betracht. Merkwürdigerweise mochten sich die beiden Eheleute sogar, ja es scheint, die junge Marie-Louise habe ihr völkermordendes Ungeheuer gar geliebt; später, als sie wieder allein in Österreich saß und Napoleon auf Elba, setzte man ei­nen österreichischen Beau auf sie an, sie aus ihren Depressionen zu holen; es gelang schließlich.

Zweihundert Jahre ist es her, da hatte Napoleon seinen Zenith erreicht, kaum schien noch denkbar, dass er stürzen könne oder wenigstens sein Reich noch zu seinen Lebzeiten.

(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)
(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Antoine-Jean Gros: "General Bonaparte auf der Brücke von Arcole am 17. November 1796" , 1796.

(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)
(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Alexandre Menjaud: "Napoleon, Marie-Lousie und der König von Rom", 1812.

Doch Napoleon war auch ein Spieler, ein Süchtiger, er konnte nicht aufhören. Noch lag im Osten das unermessliche Russland. Konnte er Weltenherrscher sein oder nur Herrscher von Europa heißen, ehe er nicht auch den russischen Bären am Nasenring führte? Der Rest ist bekannt: Wie er das größte Heer aufstellte, das die Welt bis dahin gesehen hatte, wie er viel zu spät im Jahr unter Missachtung aller Gefahren, die schon allein der russische Winter für ihn bereit hielt, losmarschierte, wie Kutusow, der russische Oberbefehlshaber, ihm nach Na­poleons Pyrrhussieg bei Borodino ungerührt das "dritte Rom" überließ, wie das endlich erreichte Moskau in Flammen aufging, die Soldaten der Grande Armée tausend grässliche Tode starben, wie Napoleon in kleiner Be­gleitung Richtung Westen floh, beim Übergang über die Weichsel, so will es eine Anekdote wissen, von ei­nem Fährmann auf sei­ne Frage: "Sind schon viele Deserteurs hinüber?" die Antwort erhalten habe: "Nein, Herr, Ihr seid der erste!"

Drei Millionen Menschenleben

Schließlich das Zwischenspiel auf Elba, seine Landung in Südfrankreich: Wie er den Feldmarschall Michel Ney, einen Saarländer, der versprochen hat­te, ihn im Käfig nach Paris zu führen, "umdrehte" (als alles vorbei war, wurde der deswegen erschossen), dann Waterloo, die Preußen, die kamen, bevor es Nacht wurde, der Untergang der Alten Garde, finis.

Endlich saß er auf Sankt Helena, stürmische Insel im Atlantik, das Ende der Welt, unter der Bewachung eines bornierten Engländers; die heroische Parallele zu Prometheus drängte sich auf. Doch Getreue hatten ihn begleitet, und so konnte er seine Memoiren schreiben, an der Legende, die er selbst längst war, feilen. Nun schrieb er nieder, wie er eigentlich doch nur Europa habe einen wollen - drei Millionen Menschenleben hat es gekostet - , den besten Ideen der Revolution, den Menschenrechten, habe er zum Durchbruch verhelfen wollen, doch zu viele seien der unversöhnlichen Feinde gewesen, sie hätten, im Unterschied zu ihm, die Menschen in Knechtschaft halten wollen, nur ihrer Tücke sei er erlegen

(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)
(Foto: Bundeskunsthalle Bonn)

Christian Wilhelm von Faber du Faur: "Auf dem Schlachtfelde an der Moskwa", 1830.

Und hatte er nicht Recht? Im nun fernen Europa legte sich der düstere Schatten der Restauration über die Völker, und während Napoleon, 56-jährig, gestorben war - von Gift wurde gemunkelt - , während, nur ein Beispiel, fern im Norden Deutschlands ein junger Mann namens Fritz Reuter wegen Tragens der schwarz-rot-goldenenen Farben sieben Jahre Festungshaft absitzen musste, wuchs und wuchs die mythologische Figur des Napoleon ins Unermessliche. Selbst einem Heine erschien er nun als das Licht, von dem er hoffte, es würde sich als unauslöschlich erweisen. Wer die krude Macht- und Unterdrückungspolitik der alten Mächtigen mit Abscheu sah, sich auch nicht in den neuen Wahn eines immer fanatischer werdenden Nationalismus flüchten wollte, für den war die Kopplung "Napoleon und Europa" zugleich eine der rückwärtsgewandten Trauer und ein Versprechen auf eine bessere Zukunft.

Eine Feuerwerksrakete

Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn widmet sich nun diesem Thema und tut es mit einer offenen Unbefangenheit, die noch nicht lange und vielleicht noch gar nie möglich gewesen ist. Hier wird Napoleon weder verherrlicht noch demontiert: vielmehr inmitten seiner Widersprüche und denen seiner Zeit gezeigt, es wird nicht nur ein Blick in die Abgründe in seinem Innern geworfen und auch in die, die er aufgerissen hat; es wird nicht verschwiegen, dass sein Furor und sein Ehrgeiz, der Nachwelt einst als großer Förderer der abendländischen Kultur zu gelten, auch enorme Fortschrittsenergien freigesetzt haben. Was sie allerdings bewegt und bewirkt haben, ob sie Europa zum Segen oder zum Fluch gereichten, darüber werden Geschichtsmythologen und Historiker noch lange streiten.

Der Geschichtsflaneur, der in der Weltgeschichte längst nicht mehr das Weltgericht vermutet, mag in Napoleon - dem Mann, der uns zu groß ist - so etwas wie eine Feuerwerksrakete erblicken, die eine Zeitlang den Himmel der Weltgeschichte strahlend illumierte, um dann unvermeidlich wieder zu erlöschen. Wer sich für Napoleon und damit für eine der bedeutenden Wendezeiten Europas interessiert, sollte sich diese herausragende Ausstellung ansehen.

"Napoleon und Europa. Traum und Trauma". Kunst- und Ausstellungs­halle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn

Zur Homepage des Museums

Helmut Kremers

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