Am Ende zu kurz

Religionen und Menschenrechte
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Das dominierende mythisch-ethnozentrische Denken in den Religionen hat mehr Probleme mit Menschenrechten als rational-globales Denken. Doch Menschenrechte sind entweder universell oder gar nicht.

"Die Frau ist immer die beste Freundin der Religion gewesen, aber die Religion keineswegs immer die beste Freundin der Frau." Diese Beobachtung des Indologen Moriz Winternitz trifft besonders auf die traditionellen und fundamentalistischen Milieus in allen großen Religionen zu. Man findet dies in dem vorliegenden Buch bestätigt.

Denn eines seiner Schwerpunkte bildet die Frage, in welchem Maße Religionen die Menschenrechte auch als Rechte der Frauen begreifen. In der Tat kann "die Stellung der Frau und ihrer Rechte in den religiösen Systemen als ein Gradmesser der Verwirklichung von Menschenrechten in den jeweiligen Religionen gelten".

Keine leichte Kost

Die Autorin ist katholische Theologin und lehrt derzeit an der Universität Augsburg. Das Buch ist ihre theologische Promotionsschrift, was jedoch mit keinem Wort erwähnt wird. Doch erklärt dies den anspruchsvollen wissenschaftlichen Charakter des Buches, dessen letzte hundert Seiten den Anmerkungen, der Literatur sowie ei­nem Register gewidmet sind.

Es ist eine differenzierte und gut recherchierte Studie geworden. Eine akademische Abhandlung, doch ohne Leserbezug. Also keine leichte Kost, die für ein breites Publikum geeignet wäre, für Interessierte aber lohnenswert.S

tatt eines persönlichen Vorworts an den Leser beginnt das Buch mit einem anonymen "Aufriss des Vorhabens". Ein erster Hauptteil resümiert die Geschichte der Menschenrechte, die zu ihrer Begründung weder der Metaphysik noch des Gottesgedankens bedürften, wie das Beispiel des Buddhismus zeige: "Eine sinnvolle Begründung kann letztlich nur auf einer naturrechtlichen Argumentation beruhen."

Was immer die Religionen inhaltlich zu den Menschenrechten beizutragen haben, ihre jeweiligen Erklärungen können für eine universal verbindliche Deklaration wie die der Vereinten Nationen von 1948 nicht selbst die Basis sein. Menschenrechte sind universell oder sie sind gar nicht.

Im zweiten Hauptteil untersucht Ceming die Menschenrechte im Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Weshalb sie gerade diese ahistorische Reihenfolge wählte, bleibt dem Leser verborgen. Liegt es an der besonderen Sympathie der Autorin für den Buddhismus?

Wie es sich für eine Dissertation gehört, geht sie bei allen Religionsdarstellungen so tiefschürfend vor, dass sie jeweils bei Adam und Eva, Muhammad und dem Koran, beim Buddha und der Karma-Lehre beginnt, ehe sie dann zu ihrem eigentlichen Thema kommt. Der Leser braucht einen langen Atem. Doch so wird jede der fünf Darstellungen zugleich zu einer Einführung in das Rechtsdenken sowie in die Ethik der betreffenden Religion.

Gleichwertig, aber nicht gleichberechtigt

So erfahren wir etwa, dass es gleich mehrere "islamische" Menschenrechtserklärungen gibt. Ihr Defizit ist stets dasselbe: Es ist mehr Gottesrecht als Na­turrecht wie die UN-Menschenrechtserklärung. Viele Gelehrte schränken zudem die Religionsfreiheit ein: Muslime dürfen ihre Religion nicht verlassen, Nichtmuslime sind nicht mit Muslimen gleichgestellt.

Und für Mann und Frau gilt: Sie sind zwar vor Gott gleichwertig, doch nicht gleichberechtigt. Stets kommt Gottesrecht vor Menschenrecht. Stets haben Muslime mehr Rechte als Nichtmuslime. Stets haben Männer mehr Rechte als Frauen.

Zu allen Zeiten gab es einzelne Gelehrte und natürlich auch Frauen, die den Koran und die Scharia anders auslegten. Die die Benachteiligung der Frauen im gelebten Islam der frauenfeindlichen Auslegung der Quellen durch die Männer zuschrieben. Doch bis heute spielt die positive Würdigung der Menschenrechte "leider nur eine marginale Rolle in der innerislamischen Diskussion".

Ein viel zu knappes Resümee bildet den Schluss der Darstellung. Auf der Basis der evolutionären Stufentheorie Ken Wilbers, die kaum erläutert wird, gelangt Ceming zu der Einschätzung: Das dominierende mythisch-ethnozentrische Denken in den Religionen hat mehr Probleme mit Menschenrechten als rational-globales Denken, das auf einer höheren Stufe steht, zu der die Menschenrechte selber gehören.

Wirklich? Das hätte der Leser gerne genauer gewusst. Am entscheidenden Ende ist das Buch, das unterwegs so ausführlich gewesen ist, zu kurz geraten.

Katharina ­Ceming: Ernstfall ­Menschen­rechte. Die Würde des Menschen und die Weltreligionen. Kösel-Verlag, München 2010, 510 Seiten, Euro 24,95.

Martin Bauschke

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