Licht aus, gute Nacht

... denn die Abschaffung der Nacht birgt viele Risiken
Foto: akg-images
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Das Leben auf Erden ist auf den stetigen Wechsel von Tag und Nacht angewiesen - aber wie auf allen Gebieten betätigt sich der Mensch auch hier als Störenfried - nicht nur auf Kosten der Natur, sondern zum eigenen Schaden, meint der Wissenschaftsjournalist Reinhard Lassek.

Der Wechsel zwischen Tag und Nacht ist sowohl für die unbelebte als auch für die belebte Natur von herausragender Bedeutung. Trotz mancherlei Möglichkeiten, die Nacht zum Tage zu machen, tut der Mensch auf längere Sicht gut daran, sein Leben nicht im Gegensatz zum natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus auszurichten. Denn Mensch und Natur haben sich sowohl in Anpassung an das Licht des Tages als auch an die Dunkelheit der Nacht entwickelt. Der Helligkeitsunterschied zwischen dem Tages- und Nachthimmel beträgt etwa 1:1 Milliarde. Völlig dunkel wird es indes auf der Nachtseite der Erde nur selten. Allenfalls in den vom Menschen nur dünn besiedelten Gegenden gibt es bei geschlossener Wolkendecke – wenn Mondenschein und Sternenglanz sowie alle übrigen Lichterscheinungen des Himmels abgeschirmt werden – noch so etwas wie eine rabenschwarze Nacht. Tag und Nacht unterscheiden sich aber fundamental: Einen Tag ohne Ende könnte die Biosphäre überleben, niemals jedoch eine endlose Nacht. Denn der wichtigste biochemische Vorgang auf Erden – die Photosynthese oder Photorespiration – benötigt das Licht der Sonne. Und bekanntlich sind auf unserem blauen Planeten allein Pflanzen, Algen sowie einige Bakteriengruppen in der Lage, mit Hilfe von Sonnenenergie aus anorganischem Material primäre organische Substanz aufzubauen. Chlorophyllfreie Lebewesen hingegen sind darauf angewiesen, dass ihnen jene solar erwirtschafteten Energiemünzen in Form von Biomasse irgendwie über die Wechseltische der komplexen Nahrungsketten und Stoffkreisläufe zugeschoben werden. Ob nun tag- oder nachtaktiv, ob Vegetarier, Fleisch- oder Allesgenießer – niemand kann überleben, ohne sich die Carepakete der Sonne einzuverleiben. So gesehen kommen selbst notorische Nachtschwärmer nicht gänzlich ohne Tageslicht aus. Für viele Pflanzen- und Tierarten – normalerweise auch für den Menschen – ist die Nacht eine Zeit der Ruhe. Zahlreiche unserer Mitgeschöpfe indes führen ein ausgeprägtes Nachtleben. Manche sogar nur, um uns aus dem Wege zu gehen. Die Natur jedenfalls schläft nie. Stets gibt es eine Tages- und eine Nachtschicht. Wobei eben auch reine Nachtwesen vom Tagewerk anderer leben, nämlich von der Lichtatmung grüner Pflanzen. Zuweilen wird unsere Nachtruhe durch Eulengeschrei, Nachtigallenschlag oder unentwegtes Grillengezirp sabotiert. Zumeist ist es jedoch umgekehrt: Wir sind sowohl tags als auch nachts die größten Ruhestörer der Natur. Wenn wir des Nachts künstliches Licht einschalten, dann werden wir für Silberfischchen, Küchenschaben und Motten augenblicklich zur Plage. Desgleichen wenn wir weiteren nächtlichen Herumtreibern wie Katzen, Mäusen, Ratten und Mardern in die Quere kommen. Dort, wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen, ist dann durchaus auch mit scheuen Rehen oder renitenten Wildschweinen zu rechnen. Um die Nacht als Lebensraum erschließen zu können, haben sich bei vielen Tierarten anatomisch-morphologische und auch verhaltensphysiologische Besonderheiten entwickelt. Eulen etwa haben Augen mit eingebautem Restlichtverstärker. Manche Schlangen haben Grubenorgane, die als Wärmebildkamera fungieren; Katzen und andere Jäger der Nacht nutzen ihre Schnurrhaare als Tastorgane, und Fledermäuse verfügen sogar über ein Sonarsystem auf Ultraschallbasis. Zudem schützt eine Wärmedämmung aus Federn oder Haaren vor nächtlicher Auskühlung. Höchstwahrscheinlich hat sich Gleichwarmigkeit überhaupt erst in Anpassung an das Nachtleben entwickelt. Warmblüter wie Vögel und Säuger besetzten nächtliche Nischen, um sich der übermächtigen Konkurrenz wechselwarmer Reptilien zu entziehen.

Die Nachtkerze duftet nur nachts

Ein Ausweichen auf die Nacht bietet so manchen Vorteil: Viele heimische Baumarten etwa entlassen ihre Pollen bevorzugt nachts. Zu einer Zeit also, da die meisten Blumen ihre Blüten bereits geschlossen haben. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet die Nachtkerze. Diese erst im 17. Jahrhundert aus Nordamerika als Zierpflanzen nach Europa eingeführte Art erblüht erst in der Abenddämmerung und duftet nur des Nachts, so dass sie dementsprechend auch ausschließlich durch Nachtschmetterlinge bestäubt wird. Für den menschlichen Beobachter besonders faszinierend sind die nächtlichen Ausschweifungen der Glüh- oder Johanniswürmchen. Diese Kerfe locken ihre Sexualpartner nämlich mit körpereigenen Leuchtdioden an. Die Lichtsignale dringen durch eine lichtdurchlässige Stelle am Unterleib und weisen etwa ein Tausendstel der Intensität eines Teelichts auf. Dieses kalte Licht wird mit einem Wirkungsgrad von bis zu 95 Prozent erzeugt. Ein Nachhaltigkeitsrekord, den bislang keine menschliche Beleuchtungstechnik erreicht. Der Mensch erzielt seine Rekorde vor allem bei der Verschleuderung von Ressourcen und der Verschmutzung seiner Umwelt. Mit künstlichen Leuchtmitteln macht er die Nacht zum Tage – oftmals mit schwerwiegenden Folgen. Die Licht-Emission erhellt den Himmel vielerorts bereits so stark, dass in Europa und in den usa nur noch 1 Prozent der Menschen einen freien Blick auf die Milchstraße genießen können. Nur einige der allerhellsten Sternbilder sind noch mit bloßem Auge erkennbar. Es gibt mancherlei Hinweise dafür, dass diese Lichtverschmutzung nicht nur ganze Ökosysteme beeinträchtigt, sondern sogar auch die menschliche Gesundheit. Und auf viele Insekten und Vögel wirkt die allnächtliche Lichtorgie unserer Ansiedlungen geradezu verheerend. In Deutschland ist natürliche Dunkelheit kaum mehr zu erleben. Schon die Lichtglocke einer Kleinstadt von 30 000 Einwohnern ist im Umkreis von rund 25 Kilometern sichtbar. Für Insekten und Vögel werden all die Lichtmasten und Leuchtreklamen oftmals zu tödlichen Fallen. An einer einzigen Straßenlaterne gehen in einer Sommernacht durchschnittlich 150 Insekten zugrunde. Auf jene etwa 6,8 Millionen Straßenlaternen Deutschlands hochgerechnet, macht das jede Nacht über eine Milliarde Insekten. Rechnet man alle Kunstlichtquellen zusammen, so werden jeden Sommer allein in der Bundesrepublik etwa 91,8 Milliarden Insekten vernichtet. Wer vor zwanzig oder dreißig Jahren als Autofahrer nächtens unterwegs war, wird sich gewiss noch an die mit toten Insekten übersäten Frontscheiben erinnern. Heutzutage bleiben unsere Automobile länger sauber. Denn viele Nachtfalterarten sind beinahe vollständig verschwunden. Sie entfallen somit auch als wichtige Nahrungsquelle für Vögel und Fledermäuse. Nicht jede Wellenlänge des Lichts ist gleich schädlich. Die komplette Umrüstung von den hierzulande immer noch üblichen weißen Quecksilberdampflampen auf gelbe Natriumdampflampen würde nicht nur die horrenden Opferzahlen an Kerbtieren mehr als halbieren. Alljährlich ließen sich zugleich mehr als 2,7 Milliarden Kilowattstunden einsparen. Würde man auf die moderne led-Technik setzen, also Leuchtdioden verwenden, wären die Verluste an Insekten um bis zu 80 Prozent geringer. Zudem ließe sich der Energieverbrauch nochmals um ein Drittel senken. Auch der Vogelwelt wäre in doppelter Weise geholfen. Zum einen, weil das Nahrungsangebot nicht fortwährend vernichtet würde. Zum anderen, weil es weniger tödliche Irritation beim Vogelzug gäbe. Denn die Mehrzahl der europäischen Langstreckenzieher – zumal unter den Singvögeln – reist des Nachts und orientiert sich am Sternenhimmel. Da nächtliche Großstädte riesigen Lichtdomen gleichen, erblassen inzwischen selbst so helle Gestirne wie der Polarstern. Insbesondere jene häufig zu Werbezwecken eingesetzten Skybeamer bringen Vögel immer wieder von ihren Zugrouten ab. Bei direktem Flug durch den Lichtkegel kommt es nicht nur zu massiven Schreckreaktionen und energieintensiven Ausweichmanövern. Etwa 10 Prozent der Vögel werden regelrecht eingefangen und umkreisen jene Lichtfallen bis zur Erschöpfung. In Mitteleuropa fallen jedes Jahr mindest eine Milliarde Vögel der Lichtverschmutzung zum Opfer. Auch für den menschlichen Organismus sind die permanenten Störungen des natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus vermutlich nicht bedenkenlos. Noch liegen zwar keine abschließenden Forschungsergebnisse vor. Aber die Hinweise häufen sich, dass nächtliche Dauerbeleuchtung unseren Hormonhaushalt stört. Lichtverschmutzung sorgt möglicherweise für ein verfrühtes Einsetzen der Pubertät und führt zu Irritationen im Menstruationszyklus der Frau. Es gibt sogar Befürchtungen, dass mit zunehmender Licht-Emission auch das Risiko für Brustkrebserkrankungen steigt. Offenbar birgt die Abschaffung der Nacht für Mensch und Tier viele Risiken. Welchen Nutzen es eigentlich haben soll, des Nachts ganze Regionen mit dem denkbar größten Aufwand zu illuminieren, bleibt indes im Dunkeln. Bei Lichte betrachtet wäre doch die Lichtverschmutzung von all unseren Versündigungen an der Schöpfung am leichtesten zu vermeiden. Zumal nunmehr sieben Milliarden Menschen auf unserem geschundenen Planeten leben und sich jede Vergeudung von Ressourcen von selbst verbietet. Sollte es uns nicht bald gelingen, das Licht einfach mal auszuschalten, wenn wir schlafen gehen – dann gute Nacht.

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Reinhard Lassek

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