Gute Nacht

Erinnerung an Matthias Claudius
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Gar nicht prätentiös und anmaßend, sondern extrem zurückgenommen - so zeichnet die Autorin das Bild des Mannes, der in Jena Theologie und Recht studierte und den seine Zeitgenossen vor allem als Journalist kennenlernen.

Der Mond ist aufgegangen, / Die goldnen Sternlein prangen / Am Himmel hell und klar": Das bekannteste Gutenachtlied der Deutschen, dessen Verse von Matthias Claudius stammen, klingt im Ohr. Vor 220 Jahren vertont von Johann Abraham Peter Schulz, haftet es schnell im Gedächtnis, und bis heute sorgen von Franz Schubert bis Max Reger, Carl Orff und Herbert Grönemeyer mehr als siebzig Komponisten dafür, dass das auch so bleibt. Doch fast vergessen ist Matthias Claudius, der die einfachen, aber durchaus nicht simplen Verse schrieb, diese Nachtgedanken.

"Niemand ist frei, der nicht Herr über sich selbst ist", lautete Matthias Claudius‘ Maxime. Dass er sich stets daran hielt, macht Annelen Kranefuss in ihrer Biographie deutlich: Der holsteinische Pastorensohn lässt sich in kein Korsett pressen, in eine formelle Kleidung schon gar nicht; er ist ein bescheidener Lebenskünstler in der Epoche der Empfindsamkeit, dem Perücke, Degen und Puder ein Graus sind.

Sein Ideal ist ein kontemplatives Leben auf dem Land, "wo ich die Früchte meiner Werke freße", und den Weg dahin verliert Claudius nie aus den Augen. Das macht ihn in den Augen vieler Zeitgenossen suspekt: Goethe nennt ihn einen "Narr voller Einfaltsprätensionen" - doch dem widerspricht nicht nur Kranefuss vehement. Gar nicht prätentiös und anmaßend, sondern extrem zurückgenommen - so zeichnet die Autorin das Bild des Mannes, der in Jena Theologie und Recht studierte und den seine Zeitgenossen vor allem als Journalist kennenlernen. Gehört er doch zu den ersten Dichtern, die bei einer Tageszeitung für die breite Öffentlichkeit arbeiten. In den Hamburger Adreß-Comtoir-Nachrichten soll er für Unterhaltung sorgen, schreibt feuilletonistisch, bleibt jedoch untauglich für die alltägliche Berichterstattung und muss seinen Hut nehmen.

Mit Hilfe von Freunden gibt er wenig später den Wandsbecker Bothen heraus, ist Deutschlands erster privater Blattmacher und bald geschätzt von der Gelehrtenwelt. Denn bei ihm veröffentlicht alles, was Rang und Namen hat, darunter Lessing, Klopstock, Herder, Gleim und Goethe. Claudius lädt die große Welt nach Wandsbeck ein - man schreibt Lieder, singt im Mondschein, kegelt und trifft sich zu frugalen Mahlzeiten. Dabei nimmt Claudius an philosophischen Diskursen und aufklärerischen Gedanken teil, bleibt aber konservativ im Denken. Vor allem sind ihm Veränderungen in seiner evangelisch-lutherischen Kirche zuwider. Annelen Kranefuss geht auf Matthias Claudius‘ philosophisch-religiös geprägte Ansichten sehr detailliert ein.

Sein Lebensinhalt bleibt stets die Familie. Eine Liebesheirat verbindet ihn ein Leben lang mit Rebekka. Seine Kinder versorgt zu wissen, sie um sich zu haben (von zwölf starben drei), ist dem geborenen Familienvater das wichtigste Anliegen.

Dabei ist Claudius ständig von finanziellen Problemen geplagt, der "Homme de Lettres" kann von seinem Gehalt keine Familie ernähren. Die Sorgen hören erst auf, als ihm Freunde einen Job als Revisor bei einer Bank in Altona beschaffen, der ihm ein regelmäßiges Einkommen sichert und genug Raum für die Schriftstellerei lässt.

Dieses Buch macht Lust auf Matthias Claudius. Darauf, die Familienbriefe zu lesen, die einen lebendigen Eindruck von dem warmherzigen und humorvollen Umgangston und dem Alltagsleben dieses großen Clans vermitteln. Lust darauf, sich einen Gedichtband zur Hand zu nehmen, in denen er allen Facetten des Lebens nachgeht und sich auch noch mehr schöne Gedanken zur Nacht macht.

Annelen Kranefuss: Matthias Claudius. Eine Biographie. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2011, 320 Seiten, Euro 23,–.

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Angelika Hornig

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