Jeder, der noch die Zeiten der Liedermacher, die Siebzigerjahre, erlebt hat, erinnert sich an Das große Liederbuch, illustriert von Tomi Ungerer, viele haben es selbst unter einen Gabentisch gelegt oder es dort vorgefunden. Nun, zum Achtzigsten des Zeichners, wird es neu angepriesen, und hoffentlich kaufen es nicht nur die Nostalgiker unter den Nicht-mehr-Jungen, die nicht mehr wissen, wo ihr altes Exemplar geblieben ist.
Auf junge Leute wird die Auswahl ganz anders wirken. Sie kennen, anders als die damals vom Klassenkampf verschnaufenden Achtundsechziger, nur noch ausnahmsweis die hier gesammelten Lieder, man kann es auch positiv ausdrücken: Sie haben viel mehr zu entdecken. Die Sammlung selbst ist meisterlich, alles ist da versammelt, was gut war und ist und uns teuer war, vom "Bruder Jakob" bis zum "Ade nun zur guten Nacht", und dazu zählen natürlich auch sämtliche noch oder einst bekannten Weihnachtslieder. Dazu die Zeichnungen des Meisters! Von einer so mitreißenden und bezaubernden Lebenslust, die schon allein zum Singen verführt: Man schaue sich nur die Mutter an, die, auf Seite 23, ihren nackten Säugling jauchzend der Sonne entgegenschwenkt - als sei diese Welt erst gerade verschwunden, als könnten wir sie gleich um die Ecke wiederfinden. Und wer sagt, dass das nicht möglich ist? Noch finden sich überall ihre steinernen Artefakte in deutschen Landen - die tief vergrabenen seelischen lassen sich mit diesem Buch zum Klingen bringen.
Anne Diekmann / Tomi Ungerer: Das große Liederbuch. Diogenes Verlag, Zürich 2011, 273 Seiten, Euro 19,90.
Helmut Kremers
Helmut Kremers
war bis 2014 Chefredakteur der "Zeitzeichen". Er lebt in Düsseldorf. Weitere Informationen unter www.helmut-kremers.de .