Ars donandi

Von der Kunst des Schenkens - mit Gaben wurde Politik gemacht
"Anbetung der Heiligen Drei Könige", Buchmalerei, Deutschland, 15. Jh. Foto: akg-images
"Anbetung der Heiligen Drei Könige", Buchmalerei, Deutschland, 15. Jh. Foto: akg-images
Obwohl Martin Luther gegen die Verdienstlichkeit der guten Werke anging und 1520 die Abschaffung sämtlicher Feste vorschlug, schafften auch die Protestanten den Brauch der Weihnachtsgeschenke nicht ab. Der Erziehungswissenschaftler Friedrich Rost erläutert warum.

Schenken ist bis heute eine Nachahmung der "Vornehmen". Schon Keilschrifttafeln der Bronzezeit berichten vom Gabentausch der Mächtigen. Und auch griechische Quellen erzählen, wie die Historikerin Beate Wagner-Hasel in ihrer Habilitationsschrift aufzeigt, von der Freigebigkeit des griechischen Adels. Ein Gelage wurde noch schöner, wenn es Geschenke gab. So durften Griechen und später die Römer, die bei reichen Gastgebern eingeladen waren, nach dem Fest den kostbaren Becher mitnehmen, aus dem sie getrunken hatten. Aristoteles, Cicero, Seneca und andere reflektieren in ihren Schriften die sich mit aufkommendem Wohlstand verfeinernde Kunst des Schenkens, die ars donandi. Schon damals tauschten aber auch die ärmeren Bürger beispielsweise zu den Saturnalien, also zum Festtag zu Ehren des Gottes Saturn am 17. Dezember, später zwischen dem 17. und 23. Dezember, kleine Tonfiguren und Münzen aus als omen principii für ein gutes Neues Jahr.

Mit Gaben wurde im Großen wie im Kleinen Politik betrieben, denn Gaben verpflichteten: Man besiegelte freundschaftliche wie strategische Allianzen, familiale und nachbarschaftliche Bindungen wurden hergestellt und aufrechterhalten, aber auch Treue vorgetäuscht, Zwietracht gesät und Richter bestochen.

Doch bevor man etwas verschenken kann, muss man es besitzen oder sich aneignen. Und dieser Aspekt ist geschichtlich ein dunkles Kapitel. Der "edlen" Freigiebigkeit gingen oftmals Kampf, Raub und Erpressung voraus. Allerdings galt der Kampf um Beute nach damaligem Rechtsverständnis nicht als unehrenhaft, sondern als eine dem Krieger würdige Art der Aneignung, selbst wenn der Gegner deutlich unterlegen war oder der Sieg durch List errungen wurde. Schließlich setzte man das eigene Leben aufs Spiel, um an die Beute zu kommen. Der "Roub", was auch die "abgezogene Haut des Tieres" meinte, konnte allerdings auch verhindert werden: durch das Anbieten eines Geschenks, was einer Unterwerfung gleichkam. Die genannten Aspekte kann man zum Beispiel dem Hildebrandslied entnehmen, einer literarischen Quelle des 9. Jahrhunderts. War das Geraubte Individualbeute, so fielen die Erlöse aus Sklavenverkauf, Lösegelderpressung und Plünderungen den Anführern zu, die ihre Mannen nach Stand und Leistung beteiligten und darüber hinaus "beschenkten", um sich weiterhin ihre Gefolgschaft und Dienste zu sichern.

Die Frankfurter Mediävistin Elsbet Orth berichtet von dem großen Widerstand der merowinger Freien gegenüber Steuerforderungen ihres Königs. Wie Tributpflichtige, also Unfreie, zum Königsschatz beitragen zu sollen, kam einer Demütigung gleich. Der Ausweg: Man einigte sich mit dem König auf Dona, also auf freiwillige Gaben, zuerst sporadisch, etwa zu einer Hochzeit, später regelmäßiger, und in der Karolingerzeit auch nicht mehr freiwillig. Aber die Art und den Wert des Geschenks bestimmten die Freien selbst; so blieb der Anschein der Freiwilligkeit gewahrt. Ähnlich wie beim Turnier entwickelte sich eine kämpferische Konkurrenz der Freigiebigkeit mit dem Ziel, andere zu übertrumpfen und Ehre einzulegen. Der französische Historiker Georges Duby äußerte die Auffassung, dass mit unersättlicher Gier geraubt wurde, um noch freigiebiger schenken zu können. Demonstrativer Konsum und die eigene Großzügigkeit sicherten nicht nur die Anerkennung Anderer zu Lebzeiten: Reichtum musste verteilt werden, damit sich der eigene Ruhm verbreitete und erhielt. Nicht mehr verteilen zu können, kam dem Eingeständnis gleich, nicht mehr über die Kraft zu verfügen, sich das Gewünschte anzueignen.

Erst die Kirche Christi als Mahnerin zur Mäßigung und zumindest zeitweisen Askese hat einen Sinneswandel eingeleitet. An die Stelle des eigenen Ruhms trat der Wunsch nach dem ewigen Leben. Zur Ehre Gottes und in der Hoffnung auf den "wunderbaren Tausch" verschenkten Begüterte oft einen erheblichen Teil ihrer Habe und ihres Gutes an die Kirche: "Kleines für Großes, Irdisches für Ewiges". Der umfangreiche Transfer von Ländereien und Vermögen gefährdete allerdings die Existenz der Nachkommen solch gläubiger Menschen. Der deutsche Historiker und preußische Staatsarchivar Heinrich von Eicken sah vor allem in der kirchlichen Armutslehre, wonach ein Reicher nicht in das Himmelreich eingehen könne, die direkte Quelle für umfangreichen kirchlichen Besitz. Zahlreich waren aber auch die Klagen der Zeitgenossen, die die Habgier des Klerus anprangerten. Der Herzenswunsch, als guter Mensch ins Paradies zu kommen, bestärkte jedoch auch den Drang, wie der Heilige Martin zu teilen und abzugeben.

Heidnische Neujahrsgeschenke

Parallel zu den großen Schenkungen an die Kirche blieb der "heidnische Gabentausch" zu Neujahr erhalten, der schon im vorchristlichen Rom Usus gewesen war. Trotz des obrigkeitlichen Verbotes von Neujahrsumzügen - Weihnachten war bis 1691 zugleich Beginn des neuen Jahres - tauschten seit dem 9. Jahrhundert weltliche und geistliche Würdenträger Neujahrsgeschenke aus, erhielten Gesinde und Arme Geld- und Brotspenden. Letzterer Brauch wurde im freigiebigen Abendland christlich überhöht: So berichtet der Prager Mönch Alsso um 1400, dass kein Hausvater es sich habe nehmen lassen, am Vorabend des Weihnachtsfestes ein largum sero an Verwandte und Nachbarn zu schicken, in Erinnerung an das Geschenk Gottes: Christi Geburt.

Obwohl Luther gegen die Verdienstlichkeit der guten Werke anging und 1520 die Abschaffung sämtlicher Feste vorschlug, da doch jeder Tag durch Christi Opfertod ein Festtag sei, haben auch die Protestanten die Nachahmung des Adels und seiner Bräuche nicht abschaffen können: Weil sich nicht nur der Adel, sondern vor allem die kleineren Leute ruinierten, wenn sie einmal im Leben "den großen Herrn" spielten, wurde schon ab 1200 obrigkeitsstaatlich immer wieder versucht, die Ausgaben für Geschenke zu reglementieren sowie übermäßiges "Hochzeiten und Festen" zu verbieten; mit der Folge, dass die Festgesellschaften in der Zeit der deutschen Kleinstaaterei zum Teil ins "Ausland" auswichen, wie der Historiker Siegfried Schmieder berichtet. Um die komplette Verausgabung zu vermeiden, empfahl die protestantische Hausväterliteratur des 17. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Johannes Colerus 1604 oder Johann Christoph Thieme 1682 pragmatisch eine Rücklagenbildung von einem Drittel des Ersparten für Feste und Geschenke.

Wenngleich private Verschwendung im Bürgertum gegeißelt wurde, erfreute man sich doch auch am Luxus öffentlicher Feste und dem Prunk des Hofstaates, weil dabei für Dienstleistungen und Waren auch Geld an Handwerker und Händler floss sowie Speisen und Geld an Arme verteilt wurden. Die "Moralischen Wochenschriften" suchten den goldenen Mittelweg zwischen Kärglichkeit und Verschwendung, Geiz und Hartherzigkeit auf der einen Seite und "Wohlthun", das mit Augenmaß im Hinblick auf "würdige Arme" erfolgen sollte, auf der anderen. Wichtig war aber zu solchen Anlässen, dass auch Almosen verteilt wurden.

Auch der seit dem 16. Jahrhundert bezeugte Brauch, dass Sankt Nikolaus in der Nacht zum 6. Dezember in die Häuser einkehrt, die Kinder examiniert und kleine Geschenke bringt, wurde reformerisch überarbeitet. Nicht ein Heiliger, sondern der "Herre Christ" - so der Freiburger Volkskundler Werner Mezger - brachte in der evangelischen Oberschicht heimlich und unerkannt Geschenke für Kinder, woraus sich Mitte des 19. Jahrhunderts in katholischen Gegenden das "Christkind" und in protestantischen der "Weihnachtsmann" als weitere anonym bleibende Gabenbringerfiguren entwickelten, wie die Volkskundlerin Ingrid Weber-Kellermann erforscht hat.

Schenken sei Nachahmung des Adels, so lautete die Ausgangsthese. Deutlich wird, dass die zu bestimmten Anlässen vollzogene bürgerliche Schenkkultur, wie sie heute vertraut ist, nicht erst im 18. Jahrhundert anzutreffen ist, wie oft behauptet wird. Natürlich kann man nur geben, wenn man selbst etwas übrig hat oder Kredit bekommt. Die Mehrheit der Bevölkerung war bis in das 20. Jahrhundert zu arm, um große Geschenke zu machen oder solche ohne großen Nutzwert. Kinder und Arme waren darauf angewiesen, etwas geschenkt zu bekommen. Bettelumzüge und Heischegänge zu bestimmten Terminen waren Brauch, um Nahrung, getragene Kleidung oder Geldmünzen zu erhalten. Wer allerdings als Mann um eine Frau werben wollte, musste nach Möglichkeit ihr Herz erobern und das auch mit kleinen, bei fahrenden Händlern oder auf den Märkten erhältlichen Aufmerksamkeiten.

In dem langen Zeitraum, in dem es das Schenken schon gibt, sind alle Versuche gescheitert, ein Ausufern des Feierns und Schenkens einzudämmen, und zwar an der Tendenz zur Großzügigkeit und Verausgabung, die ein Fest erst zu einem rauschenden oder ein Geschenk erst zu etwas Besonderem macht. Gerade beim Weihnachtsfest wird die sonst vorherrschende Knappheit übertüncht - als christlich überlagerter heidnischer Gabentausch zur Sicherung eines guten omen principii, also eines guten Vorzeichens, für das neue Jahr.

Friedrich Rost

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