Schwestern

Die Anfänge des Christentums
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Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler und eher als Zeithistoriker ausgewiesen, hat eine beachtliche Darstellung der Geschichte des antiken Christentums vorgelegt.

Immer wieder einmal legen Außenseiter Bücher vor, die ins Zentrum zielen. Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler in Frankfurt und eher als Zeithistoriker ausgewiesen, hat sich an einer Darstellung der Geschichte des antiken Christentums versucht - und ein beachtliches, ebenso knappes wie präzises Werk vorgelegt. Die Reihe "Kurze Geschichte in fünf Kapiteln" verlangt im Titel, dass der Stoff in fünf Kapitel gegliedert wird - "das Urchristentum", "das Auseinandergehen der Wege", "Christentum und römischer Staat", "der Glaube wird Institution" und "Triumph des Christentums"; gut ausgewählte Abbildungen und Kästen am Rande mit exkursartigen Personen- und Sachinformationen machen das Lesen leicht. Selbstverständlich kann man das Buch "eines jüdischen Liebhabers der antiken Geschichte", so stellt sich der Autor eingangs vor, so anzeigen, dass man penibel bilanziert, was die Fachgelehrsamkeit anders sieht.

Natürlich hat - um nur ein Beispiel zu nennen - der alexandrinische Bischof Athanasius nicht den verbindlichen Abschluss des Kanons der biblischen Schriften "deklariert", sondern sorgfältig die kirchliche Praxis seiner Diözese im Blick auf den Umfang der biblischen Schriften erkundet und dieselbe dann normiert. Aber solche Pfennigfuchserei wäre ziemlich langweilig. Außerdem würde sie verbergen, dass der Autor an vielen Punkten seine Quellen präziser zusammenfasst als mancher Fachkollege. Immer wieder muss man in kirchengeschichtlichen Überblickswerken lesen, der große Gegenspieler des Athanasius, der alexandrinische Presbyter Arius, habe Christus als Geschöpf und damit als bloßen Menschen gedacht. Brumlik weiß es besser und spricht von einem kreatürlichen göttlichen Logos, der im Menschen Jesus inkarniert sei.

Wo setzt Brumlik eigene oder besonders beachtenswerte Akzente? Jesus gehört für ihn ganz ins Judentum. Er wird daher in dem Buch überraschend kurz und mit wenigen Stichworten behandelt: "Nächstenliebe, Krankenheilung, rigorose Predigt und anschauliche Gleichnisse". "Urchristentum" ist Vorgeschichte des Christentums, dargestellt wird die erstmalige Benennung der "Christianer" in Antiochia, die Lukas in der Apostelgeschichte berichtet (11,26) und die Theologie des Paulus. Brumlik sieht Paulus nicht in der Tradition Luthers als Kritiker eines mit dem Gesetz verbundenen Heilsweges, sondern, wie ein Teil der neueren Forschung, in den Bahnen der Popularphilosophie und ihrer Leib-Seele-Dichotomie.

Im zweiten Kapitel folgt Brumlik dem neuen Bild einer wechselseitigen Konstitution von Judentum und Christentum in der römischen Kaiserzeit, das während der vergangenen Jahre in der Diskussion über Beiträge des amerikanischen Judaisten Daniel Boyarin geschärft wurde: Judentum und Christentum stehen nicht wie Mutter- und Tochterreligion zueinander, sondern sind Schwesterreligionen, die sich in engem Kontakt, aber auch in deutlicher Auseinandersetzung in der römischen Kaiserzeit entwickelt haben.

Hier hätte Brumlik sogar noch weitere Argumente über die genannten hinaus finden können: Wohl trennt die Zulassung der Bilderverehrung im Christentum im achten und neunten Jahrhundert beide Religionen endgültig, andererseits spielen in der Frömmigkeit des antiken Judentums Bilder eine große Rolle, wie alle die wissen, die schon einmal den Synagogenraum von Dura-Europos im Nationalmuseum von Damaskus gesehen haben oder die Synagoge von Hamat-Tiberias am See Genezareth. Wohl trennt das Bekenntnis zum dreieinigen Gott, andererseits gab es im babylonischen Judentum Texte, in denen der Engel vor Gottes Thron als "kleiner jhwh" bezeichnet wurde und durch Feuerschläge gezwungen wurde, nicht auf dem Thron selbst Platz zu nehmen.

Angesichts solcher antiken jüdischen Texte wäre noch deutlicher geworden, dass nicht nur die Christen über mehrere personale Identitäten des einen einzigen Gottes nachdachten, sondern eben auch Strömungen innerhalb des antiken Judentums, die die Rabbinen im Mittelalter zu marginalisieren wussten. Brumlik weist immerhin auf den jüdisch-hellenistischen Autor Philo von Alexandrien hin, der gelegentlich sogar Modellen einer (subordinierenden) Trinität überraschend nahe gekommen ist.

Das Christentum wird bei Brumlik erst unter Konstantin ein Thema für den römischen Staat, hier hätte man noch auf wenigen Seiten die eindrücklichen Beispiele aus dem vorausgehenden dritten Jahrhundert für das Auftreten von Christen in der Mitte der Gesellschaft ergänzen können. An dieser Stelle hätte dem Buch überhaupt ein wenig mehr historische Detailfülle gut getan, auch wenn es in der Reihe um die großen Linien geht: Wie sei es mit der "Religion als Stütze der Macht" bestellt, so Brumlik, wenn weder Konstantin noch irgendeiner seiner Nachfolger im ganzen Reich seine Religionspolitik durchsetzen konnte und letztlich alle Kaiser bis hin zu Theodosius vor dem hartnäckigen Widerstand der Bischöfe kapitulieren mussten, wenigstens in Fragen des Glaubens? Christlicher Monotheismus und zentralistische Herrschaft waren wahrscheinlich weniger verschmolzen, als Brumlik glaubt.

So verlockt das hervorragend geschriebene Buch eines auf beachtlichem wissenschaftlichen Niveau agierenden Liebhabers immer wieder zu Debatten, enthält vorzüglich gelungene Passagen - zu Augustins Bild einer zerrissenen Individualität beispielsweise - und zeigt, wie wenig Unterschiede zwischen den Sichtweisen von jüdischen und christlichen Wissenschaftlern auf die Geschichte des antiken Christentums heute noch bestehen.

Micha Brumlik: Entstehung des Christentums. Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2010, 220 Seiten, Euro 16,95.

Christoph Markschies

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