Der Bote ist eine Frau

Thea Gilmores "John Wesley Harding"
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Die Liebe urteilt nicht. Sie sucht das Herz, nicht die Seele. Tanzt, genießt, blickt in die Tiefe, hält das aus. Die Liebe schwelgt, scheitert, sie wartet, lacht, weint, findet Bilder, mag aber nicht sagen, welches das Beste sei. So sollte man Thea Gilmore begegnen, einer 31-jährigen Songwriterin und Sängerin aus der Gegend von Oxford, die seit 1998 schon rund ein Dutzend Alben einspielte, doch anders als in Großbritannien und in den USA bei uns bisher kaum bekannt ist. Zu Bob Dylans 70. Geburtstag (zz 5/11) hat sie sein John Wesley Harding gecovert.

Wobei, ein ganzes Album zu covern, an sich bereits bemerkenswert ist, die Auswahl aber erst recht. Zwar enthält die Platte das berühmte "All Along The Watchtower" (nach Jesaja 21 - eine Vision vom Fall Babels), zählt aber keineswegs zu Dylans legendären Alben. Nach Rimbaud-satten Lyrikexplosionen davor dominierten "Country-Folk"-Klänge, und die bibelgetränkten Songs bevölkerten Wild-West-Outlaws, arglos Liebende, arme Immigranten, Landstreicher, Einsame, aufrecht Verlorene und sogar der Kirchenvater Augustinus.

Verneigung mit Würde

Verzweiflung und Stil hielten sich für viele verwirrend cool die Waage, Musik und Songmaterial waren gleichwohl grandios. Dass Thea Gilmore hier zugriff, zeugt von Geschmack. Die Spannweite reicht vom verruchten Boten ("The Wicked Messenger" - "If you can't bring good news don't bring any") als angepunktem Rock Stomp bis zum heiteren Country Song ("Down along the cove" als Western-Swing und "I'll be your baby tonight"). Das überraschende Entkommen des Landstreichers aus dem Gerichtssaal ("Drifter's Escape") ist treibende Rocknummer, in "Dear Landlord" stellt sie mit faszinierendem Timbre zu Pianobegleitung die lyrische Songqualität heraus. "All Along The Watchtower" ist in angedeuteten Reggae-Rhythmus gefasst, die fesselnde "Ballad of Frankie Lee and Judas Priest" wird zum Palimpsest: Hinter der Textur schimmert Dylans sehr viel späteres "Shelter From the Storm" hindurch.

Thea Gilmore brilliert. Eine Verneigung mit Würde, sie kann sie sich leisten, wie ihre Alben mit eigenen Songmaterial zeigen. Dylan war und ist wichtige Inspiration, nicht mehr und nicht weniger. Von "Tomboy"-Gehabe (der "Wildfang"-Ausbruch aus weiblichen Rollenklischees) ist Gilmore so weit entfernt wie von kieksender Anbiederung. Hank Williams' Foto prangt mit gutem Recht auf ihrem John Wesley Harding-Cover. Eine großartige Frau.

Thea Gilmore - John Wesley Harding. Fulfill Records/Alive 2011.

Udo Feist

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