Interreligiöse Lachgemeinschaft

Was Christen, Juden und Muslime von Johann Peter Hebel lernen können
(Foto: akg-images)
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Hebel hat auf ganz erfrischende Weise für Verständigung und Toleranz geworben hat. Davon könnten sich Menschen, die heute im interreligiösen Dialog engagiert sind, inspirieren lassen.

Von einem Klassiker-Jubiläum bleibt meist wenig nach. Ist der soundsovielte runde Geburts- oder Todestag vergangen, sind die weihevollen Reden auch schon verhallt, die ehrenden Zeitungsartikel im Altpapier-Container gelandet, und die Marketingleute programmieren ihre Eventmaschinen für den nächsten Kandidaten.

Damit dies nicht das Schicksal von Johann Peter Hebel wird, dessen 250. Geburtstag am 10. Mai gefeiert wurde, sollte man einer Gedankenspur folgen, die der Hamburger Kirchenhistoriker Johann Anselm Steiger in einem neuen Sammelband zum christlich-jüdischen Dialog ("Wende-Zeit im Verhältnis von Juden und Christen", Hamburg 2010) gelegt hat. Er zeigt, wie Hebel auf ganz erfrischende Weise für Verständigung und Toleranz geworben hat. Davon könnten sich Menschen, die heute im interreligiösen Dialog engagiert sind, inspirieren lassen.

Klischees aushebeln

Hebel erzählte Geschichten von Juden und Christen, die einen neuen Blick eröffneten. Dabei beging er nicht den Fehler vieler Toleranzfreunde, ein ideales, aufgeklärtes Salonjudentum zu beschwören und das empirische Judentum auszublenden. Hebel erzählte von wirklichen Juden, wie seine Leser sie aus ihrem Alltag kannten. Dabei griff er gängige, judenfeindliche Klischees auf, um sie sogleich mit Hilfe einer humoristischen Wendung auszuhebeln. So stiftete er eine unerwartete "Erzähl- und Lachgemeinschaft" (Steiger) zwischen Juden und Christen, wobei Letztere allerdings erst mühsam lernen mussten, über sich selbst zu lachen. Da Hebel lieber Geschichten erzählte, als langatmige Belehrungen von sich zu geben, will ich mir diese auch verkneifen und einige seiner "Kalendergeschichten" für sich selbst sprechen lassen, zunächst Glimpf geht über Schimpf:

"Ein Hebräer, aus dem Sundgau, ging jede Woche einmal in seinen Geschäften durch ein gewisses Dorf. Jede Woche einmal riefen ihm die mutwilligen Büblein durch das ganze Dorf nach: 'Jud! Jud! Judenmauschel'‚ Der Hebräer dachte: Was soll ich tun? Schimpf ich wieder, schimpfen sie ärger, werf ich einen, werfen mich zwanzig'. Aber eines Tages brachte er viele neugeprägte, weißgekochte Basel-Rappen mit, wovon fünf soviel sind als zwei Kreuzer, und schenkte jedem Büblein, das ihm zurief: 'Judenmauschel' einen Rappen. Als er wiederkam, standen alle Kinder auf der Gasse: 'Jud! Jud! Judenmauschel! Schaulem leckem!' Jedes bekam einen Rappen, und so noch etliche Mal, und die Kinder freuten sich von einer Woche auf die andere und fingen fast an den gutherzigen Juden liebzugewinnen. Auf einmal aber sagte er: 'Kinder, jetzt kann ich euch nichts mehr geben, so gern ich möchte, denn es kommt mir zu oft und euer sind zuviel.' Da wurden sie ganz betrübt, so daß einigen das Wasser in die Augen kam, und sagten: 'Wenn Ihr uns nichts mehr gebt, so sagen wir auch nicht mehr Judenmauschel' Der Hebräer sagte. 'Ich muß mir's gefallen lassen. Zwingen kann ich euch nicht.' Also gab er ihnen von der Stund an keine Rappen mehr und von der Stund an ließen sie ihn ruhig durch das Dorf gehen."

Friedensstiftendes Lachen

Viel Unheil wäre vermieden worden, hätten die Deutschen sich von Hebel die Kunst eines Frieden stiftenden Lachens lehren lassen. So mischt sich heute in die amüsierte Hebel-Lektüre eine traurige Bitterkeit. Aber wäre das nicht ein Ziel für das Gespräch zwischen Juden und Christen, in solch ein Lachen zurückzufinden? Die Christen müssten allerdings damit leben, dass sie am Ende meist als die Dummen da stehen, wie in der Geschichte Gleiches mit Gleichem:

"Der geistliche Herr von Trudenbach stand eines Nachmittags am Fenster. Da ging mit seinem Zwerchsack der Jud von Brassenheim vorbei. 'Nausel', rief ihm der geistliche Herr zu, 'wenn du mir zu meinem Roß einen guten Käufer weißt, 20 Dublonen ist es wert, so bekommst du.' - 'Na was bekomm ich?' - 'Einen Sack Haber.' - Es vergingen aber drei Wochen bis der Jud den rechten Liebhaber fand, der nämlich 6 Dublonen mehr dafür bezahlte als es wert war, und unterdessen stieg der Preis des Habers schnell auf das Doppelte, weil die Franzosen überall aufkauften, damals kauften sie noch. Also gab der geistliche Herr dem Juden statt eines ganzen Sackes voll einen halben. 'Vielleicht bekehr ich ihn', dachte er, 'wenn er sieht, daß wir auch gerecht sind in Handel und Wandel.'

Das war nun zu nehmen, wie man wollte. Der Jud nahm's aber für recht und billig. 'Wart nur, Gallech', dachte er, 'du kommst mir wieder.' Nach Jahresfrist stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster und der Jud von Brassenheim ging durch das Dorf. 'Nausel', rief ihm der geistliche Herr, 'wenn du mir zu meinen zwei fetten Ochsen' - 'Na was bekomm ich, wenn ich Euch einen guten Käufer schaffe?' - 'Zwei Große Taler.'

Jetzt ging der Jud zu einem verunglückten Metzger, der schon lange kein Messer mehr führt, weil alles guttut nur solange es mag, zum Beispiel das Schuldigbleiben. Endlich sagte er zu seinen zwei letzten Kunden: 'Ich weiß nicht, ich bin seit einiger Zeit so weichmütig, daß ich gar kein Blut mehr sehen kann', und schloß die Metzig zu. Seitdem heißt er zum Übernamen, der Metzger Blutscheu, und nährte sich, wie der Zirkelschmied, von kleinen Künsten und Projekten, wie wirklich eins im Werk ist. Denn an ihm suchte und fand der Jud seinen Mann, und sagte ihm, was zu fangen sei, und auf welche Art.

Nach zwei Tagen kamen die beiden zu dem geistlichen Herrn. Aber wie war der Metzger ausstaffiert? In einem halbneuen brauntüchenen Rock, in langen schön gestreiften Beinkleidern von Parchent, um den Leib eine leere Geldgurt, am Finger einen lotschweren silbernen Ring, ein dito Herz im Hemd unter dem scharlachenen Brusttuch, hinter sich her einen wohlgenährten Hund, alles auf des Juden Bürgschaft zusammengeborgt, nichts sein eigen, als das rote Gesicht.

Die Ochsen wurden kunstmäßig umgangen, betastet, mit den Augen gewogen, und wie mit einer Klafterschnur gemessen. - 'Na, wie jauker.' - 'Zwanzig Dublonen.' - 'Siebenzehn!' - 'Herr Adlerwirt', sagte der Jud, 'macht a neunzehn draus, Ihr verkauft Euch nicht.' - 'Die Ochsen sind brav', sagte der Blutscheu, 'wenn ich's zwei Stunden früher gewußt hätte, als meine Gurt noch voll war, daß ich sie alsogleich fassen könnte, so wären sie mir ein paar Dublonen mehr wert. Aber am Freitag hol ich sie für achtzehn', und zog den ledernen Beutel aus, als wenn er etwas draufgeben wollte.

Unterdessen flüsterte der Jude dem geistlichen Herrn etwas in das Ohr, und 'wenn Ihr für die Jungfer Köchin zwei Große Taler in den Kauf geben wolltet', sprach er dem Metzger zu, 'so könnt Ihr die Ochsen alsogleich mitnehmen für neunzehn. Ihr seid ein Ehrenmann, und der Herr Dechant ist auch so einer. Am Freitag bringt Ihr ihm das Geld.' Der Kauf war richtig, zwei Große Taler gingen auf die Hand. 'Herr Adlerwirt', sagte der Jud, 'Ihr habt einen guten Handel gemacht.'

Also trieb der Blutscheu die schöne fette Beute fort. Die meisten geneigten Leser aber werden bereits merken, daß der Herr Dechant sein Geld am Freitag noch nicht bekam. Eines Nachmittags nach vier Wochen, oder nach sechs stand der geistliche Herr von Trudenbach am Fenster und der Jud ging durch das Dorf. 'Nausel', rief der geistliche Herr ihm zu: 'Wo bleibt der Adlerwirt. Ich habe mein Geld noch nicht.' -'Na wo wird er bleiben', sagte der Nausel. 'Er wird warten bis eine Dublone das Doppelte gilt, alsdann bringt er Euch statt neunzehn, neun und eine halbe. Verliert Ihr etwas dabei? Hab ich vor einem Jahr an meinem Haber etwas verloren?'

Da ging dem Herrn Dechant ein Licht auf. Das Artigste an dieser ganzen Geschichte ist die Wahrheit. Der Jud hat es nachgehends selber erzählt und gerühmt, wie ehrlich der Metzger an dem Scheideweg im Wald mit ihm geteilt habe. 'Was er geton hat', sagte er, 'den schönsten hat er für sich behalten, und mir den geringern gegiben.'"

Erzählgemeinschaft

Hebel hat übrigens auch die Muslime in seine Erzählgemeinschaft aufgenommen. Er lebte ja in einer Zeit, als die Islamophobie noch nicht in Mode war. Stattdessen erfreute sich der Orient als Sehnsuchtsort großer Beliebtheit, auch bei ihm selbst. Seine muslimischen "Kalendergeschichten" sind zwar nicht so lustig wie die jüdischen. Dafür bieten sie anregende Vorbilder der Lebensweisheit und Friedfertigkeit. So führte Hebel auch einen christlich-islamischen Dialog, bevor es das Wort dafür gab. "Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und tun." Das zeigt sich zum Beispiel in der Geschichte Das gute Werk:

"Der sogenannte Lügenprophet Mahomed hat manches gesagt und getan, was ein christliches Herz nicht gutheißen oder verantworten könnte. Aber alles ist auch nicht gefehlt, was Mahomed gesagt oder getan hat. Einmal kommt ein Araber zu ihm. 'Gesandter Gottes, ich habe das Gesetz der Fasten gebrochen, das Fleisch ist schwach.' Der Prophet sagte: 'Hast du ein böses Werk begangen, so mußt du es mit einem guten büßen. Es gibt keine schönern Bußen als gute Werke. Hast du einen Sklaven', fragte ihn der Prophet, 'den du freilassen kannst?' Der Araber fing an zu lachen, und sagte: 'Sklaven freilassen, und ich! Wie komm ich mir vor!' der Prophet fuhr fort: 'Kannst du die Fasten noch einmal von vornen anfangen?' Der Araber erwiderte: 'Ich bin's nicht kapabel. Wer für Frau und Kinder arbeiten soll, muß auch gehörig essen.' Der Prophet fuhr fort: 'Kannst du sechzig Arme speisen?' Der Araber erwiderte: 'Nicht sechzig Mäuse, auch nicht vierzig, auch nicht zwanzig.' Da brachte man dem Propheten seine Mahlzeit, Datteln und ein Stück Fleisch und er sagte dem Araber: 'So nimm dieses Stück Fleisch, und bring's in deinem Namen einem Ärmern, als du bist zum Almosen.' Der Araber erwiderte: 'Gibt's noch einen Ärmern als ich bin? Ich weiß keinen.' Da fuhr der Prophet fort: 'Weißt du was, so bring's deinen Kindern, die sollen es essen. Deine Kinder sind noch ärmer als du bist.' - So hat Mahomed gesagt und getan."

Gelassen und heiter

Hebel ist nicht nur für interreligiösen Dialog gut. Auch das Gespräch zwischen Protestanten und Katholiken, das gegenwärtig dringend einer massiven Humorinfusion bedarf, könnte durch die Lektüre seiner "Kalendergeschichten" gewinnen. Nichts täte der Ökumene so gut wie die Gelassenheit und Heiterkeit, die Hebel im Umgang mit konfessionellen Unterschieden an den Tag legte. Davon zeugt Die Bekehrung:

"Zwei Brüder im Westphälinger Land lebten miteinander in Frieden und Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere katholisch wurde, taten sie sich alles Herzeleid an. Zuletzt schickte der Vater den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen Jahren schrieb er zum ersten Mal an seinen Bruder. 'Bruder', schrieb er, 'es geht mir doch im Kopf herum, dass wir nicht Einen Glauben haben, und nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen, vielleicht in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser.'

Also beschied er ihn in den Roten Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft durchreiste. 'Dort wollen wir's ausmachen.' In den ersten Tagen kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der lutherische: 'Der Pabst ist der Antichrist', schalt der katholische: 'Luther ist der Widerchrist.' Berief sich der katholische auf den heiligen Augustin, sagte der lutherische: 'Ich hab' nichts gegen ihn, er mag ein gelehrter Herr gewesen sein, aber beim ersten Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabei.' Aber am Samstag aß schon der Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. 'Bruder', sagte er, 'der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen'; und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder in die lutherische Vesper. 'Bruder', sagte er, 'euer Schulmeister singt keinen schlechten Tremulant.' Den andern Tag wollten sie miteinander zuerst in die Frühmesse, danach in die lutherische Predigt, und was sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt, das wollten sie tun.

Als sie aber aus der Vesper und aus dem Grünen Baum nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht. Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn. 'Augenblicklich setzt Eure Reise fort! Hab' ich Euch auf eine Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr nicht vielmehr die Musterkarte reiten?' Und der andere fand einen Brief von seinem Vater: 'Lieber Sohn, komm heim sobald du kannst, du musst spielen.' Also gingen sie noch den nämlichen Abend unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder für sich nach, was er von dem andern gehört hatte.

Nach sechs Wochen schreibt der jüngere dem Ladendiener einen Brief: 'Bruder, deine Gründe haben mich unterdessen vollkommen überzeugt. Ich bin jetzt auch katholisch. Den Eltern ist es insofern recht. Aber dem Vater darf ich nimmer unter die Augen kommen.' Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen die Feder. 'Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit Gewalt in die Verdammnis rennen, dass du die seligmachende Religion verleugnest? Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden.' Also hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie vorher, höchstens ein wenig schlimmer.

Merke: du sollst nicht über die Religion grübeln und düfteln, damit du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit Andersdenkenden darüber disputieren, am wenigsten mit solchen, die es ebensowenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Überzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben und, was gerade ist, nicht krumm machen. Es sei dann, dass dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren."

Johann Hinrich Claussen ist Probst in Hamburg.

Johann Hinrich Claussen

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