Offline leben

Geschichte einer Avantgarde
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Gabriele Wohmann gilt als Ästhetin des Widerstands. Ihre neuen Erzählungen sind nun aber so radikal, dass man erschrickt. Und doch beruhigen sie auch, weil sie besondere Hoffnungspotenziale frei legen.

Gabriele Wohmann gilt als Ästhetin des Widerstands. Ihre neuen Erzählungen sind nun aber so radikal, dass man erschrickt. Und doch beruhigen sie auch, weil sie besondere Hoffnungspotenziale frei legen. Wann kommt die Liebe ist ein untergründig-entschiedener Protest gegen den heutigen elektronisch-kommunikativen Simultanfanatismus. Spätestens seit Frank Schirrmachers Payback ist die Frage im gesellschaftlichen Diskurs angelangt, inwiefern der Mensch fürs Informationszeitalter überhaupt geschaffen ist. Der Journalist Alex Rühle erzählt in Mein halbes Jahr offline von einem Boykott mit Gewinn - nun aber sei alles wie zuvor. Und Wohmann?

Anders als zuletzt noch, wo E-Mail und Internet in ihren Büchern auftauchen, leben ihre Figuren nun so rückständig-avantgardistisch, dass es einem den Atem raubt. Fernsehen und Telefon gibt es, doch Internet, iPhone und soziale Netzwerke werden nie benutzt oder auch nur genannt. Wovon aber lebt der Mensch denn dann?

Entschieden mit dem Anerkannten brechen

So entschieden mit dem allgemein Anerkannten zu brechen, kann vielleicht nur jemand wie sie: Im Pfarrhaus ist sie aufgewachsen, wogegen sie übrigens zeit ihres Lebens nie widerständig war. Sie ist bekennende Protestantin, beim letzten großen Lutherjubiläum 1996 hielt sie in Eisleben den Festvortrag. Ihr Schreiben ist aber nicht tendenziös religiös, es geschieht vielmehr untergründig. Renommierte literarische Preise hat sie erhalten, auch das Große Bundesverdienstkreuz. Mit Romanen wie Paulinchen war allein zu Haus feierte sie gewaltige Publikumserfolge. Seit einem frühen Urteil von Marcel Reich-Ranicki gilt sie als die im deutschen Sprachraum profilierteste Erzählerin im Bereich der Kurzgeschichte.

Wie ergeht es nun aber ihren Anti-Internet-Rebellen? Sie wirken leicht deplatziert, manchmal fast unirdisch, weil sie nicht überall sekundenschnell erreichbar sind. Auf der anderen Seite - und das ist die irritierende Pointe - sind sie ungewohnt sozial. Mann und Frau, Freunde reden noch, sie streiten sich, leiden an- und miteinander, helfen sich. Sie haben Zeit - was sich durchaus biographisch deuten lässt: Weil Wohmann nicht auf "Facebook" ist, ist sie literarisch äußerst produktiv.

Ihr Erzählen liest sich nicht wie so eben mal dahingetippt, sondern erfinderisch und un­nachahmlich komisch. Da ist die Rede von "affenpopobeuligen Pampers", einer "mischrassigen Petruskirche" oder Augen, die strahlten, "hellblau wie das Spülwasser im Gäste-WC, seit Lore dem mit irgendeiner Essenz zusetzte". In die Dialoge über die treffsichere Auswahl am Karstadt-Salat-Buffet mischen sich phantastisch abenteuerreife Sequenzen von fernen Ländern. Auch sie dürften biographisch sein, denn Wohmann war als Lesereisende auf mehreren Kontinenten. Ihren unverwechselbaren Stil schulte sie durch fieberhafte Lektüre: "Ich habe schon sehr früh den Zauberberg gelesen, bin immer mit dem Fieberthermometer herumgelaufen, so beeindruckt war ich."

Ihre jüngsten Helden haben nicht nur Zeit fürs Reden, sondern auch fürs Lesen. So kann ein Rilke-Zitat schon mal die Ehe retten. Alltägliches wird transparent für große, auch religiöse Fragen - wie der letzten, der vom Himmelreich. Wohmanns aufmüpfig-weises Alterswerk jedenfalls lässt für jemanden, der noch an ein Leben jenseits der elektronischen Verwertbarkeit glaubt, keine Wünsche offen - vielleicht einen: Ihre eschatologisch-poetischen Gedanken sind wieder einmal so verführerisch kreativ, dass man auf ein Buch hofft, in dem einmal ihre christlich inspirierten Jenseits-Träume im Mittelpunkt stehen.

Gabriele Wohmann: Wann kommt die Liebe, Aufbau Verlag, Berlin 2010, 224 Seiten, Euro 19,95.

Georg Magirius

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Foto: Romy Damm

Georg Magirius

Georg Magirius ist ein zum Pfarrer ausgebildeter evangelischer Theologe. Im Jahr 2000 hat er sich als Schriftsteller und Seelsorger selbstständig gemacht. Zuletzt von ihm erschienen: „Stille erfahren“ (Herder Verlag). www.georgmagirius.de


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