Das war die von ihm selbst in die Welt gesetzte Legende seiner Kunst-Initiation: Im Krieg sei er als Stukaflieger abgestürzt, schwerverletzt gewesen (Wahrheit), und von barmherzigen Tataren am Leben erhalten worden (Dichtung) - mit Hilfe jener Stoffe, die zu seinen Lieblingsmaterialien werden sollten, Filz und Fett.
Joseph Beuys war überzeugt davon, dass in jedem Menschen ein Künstler steckt. Wen es zur Kunst drängt, den solle man nicht hindern. Also nahm er als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie jeden in seine Klasse auf, der wollte - vierhundert Schüler statt der zugelassenen dreißig. Der damalige nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Johannes Rau entließ ihn schließlich 1972, zur großen Empörung des bundesdeutschen Kulturestablishments.
Viele hielten Beuys damals für einen Scharlatan. Beuys wiederum hielt diese Vielen für kunstbanausige Spießbürger. Wenn sie ihm in die Quere kamen, kannte er kein Pardon. So in der legendären Badewannenaffäre: Putzfrauen hatten eine Zinkwanne von dem Fett befreit, das Beuys kunstschaffend darin platziert hatte. Beuys klagte, gewann den Prozess und erstritt eine Entschädigung. Beuys' Aufstieg hinderte das nicht, er wurde ein Star, ein internationaler dazu.
Legendäre Badewannenaffäre
Vor 25 Jahren, am 23. Januar 1986 starb er. Aus diesem Anlass erinnerten und erinnern eine Reihe von Ausstellungen an ihn. Sie lassen nachempfinden, was damals an ihm faszinierte: Der Künstler Beuys sah sich als Künstler und als Schamane, und es war diese Kombination, die auf seine Bewunderer wirkte - in einer Zeit, die sich gern in intellektuellen Überbauten verirrte und zugleich für alles Archaisch-Ursprüngliche schwärmte.
Schamanismus: Das ist die uralte, tief in die Wurzeln der Menschheit hinabreichende Form religiöser Weltbewältigung, die davon ausgeht, dass alles mit allem zusammenhängt, alles auf einander einwirken kann, auch durch Symbole und magische Handlungen. Der Schamane vermag in andere Dimensionen der Wirklichkeit einzutreten und legt, zurückgekehrt, davon Zeugnis ab. Wie etwa Beuys mit seiner New Yorker Aktion von 1974 "Coyote; I like America and America likes me". Drei Tage lang lebte Beuys damals mit einem (von den meisten Weißen verabscheuten) Präriewolf (dem heiligen Tier vieler Indianerstämme) in einem Käfig und freundete sich geradezu mit ihm an. "Wenn auch das Kunstwerk das größte Rätsel ist", so der Meister, "der Mensch ist die Lösung."
Der Schamanismus hat Spuren bis heute hinterlassen, auch in den Hochkulturen, auch im Christentum. Die magische Weltsicht, die ihm zugrunde liegt, ist tief in der menschlichen Psyche verankert, unausrottbar. Aber wäre ihr Verschwinden wünschenswert? Gewiss, wo sie unbeschränkt herrscht, ungeklärt durch Offenbarung und Vernunft, haben Dämonen leichtes Spiel. Andrerseits: eine vollends aufgeklärte Erde strahle im Zeichen triumphalen Unheils, so einst Horkheimer und Adorno.
Es gibt aber so etwas wie eine aufgeklärte magische Weltsicht: Sie hält den Glauben davon ab, seine Dogmen wie Daumenschrauben zu handhaben und hindert die Vernunft am Schlaf, also daran, Ungeheuer zu gebären. Vielleicht sind ja Künstler wie Beuys auf das tief vergrabene gemeinsame Fundament von Kunst und Religion gestoßen, vielleicht verbindet sich ja das Leuchten der Fundstücke, die sie heraufbringen, mit der Ratio zum wahren Licht der Aufklärung - und hilft so den Schrecken zu bannen, den die Frankfurter Dioskuren an die Wand malten. Ausstellung "Parallelprozesse".
Eine Beuys-Ausstellung im K20 Düsseldorf, bis 16. Januar 2011.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Helmut Kremers
Helmut Kremers
war bis 2014 Chefredakteur der "Zeitzeichen". Er lebt in Düsseldorf. Weitere Informationen unter www.helmut-kremers.de .