Laut Umfragen glaubt die Mehrheit der Deutschen an Gott. Aber an welchen? Welches Bild und welche Vorstellung werden mit Gott verbunden? Wer das Internet nach einem Bild von "Gott" befragt, wird in Sekundenbruchteilen mit mehreren tausend Angeboten bedient. Das Spektrum reicht von Michelangelos Schöpfung in der sixtinischen Kapelle bis zur läppischen Karikatur. Kunst steht neben Kitsch, Besinnliches neben Polemik.
Auf vielfältige und unterschiedliche Gottesbilder treffen wir schon bei Kindern und Jugendlichen. Dabei belegen empirische Studien, dass Gottesbilder von Mädchen mehr die personale Nähe, die Fürsorglichkeit und den Schutz Gottes ausdrücken, während Jungen stärker die Macht und Kraft Gottes betonen. Jungen verwenden für Gott eher Attribute aus dem technischen Bereich, Mädchen dagegen wählen bevorzugt Bilder und Metaphern aus der Natur.
Biographisch keine lineare Entwicklung
Gottesbilder entwickeln sich: die überwiegend anthropomorphen Gottesbilder in der Kindheit treten bei Erwachsenen zugunsten symbolischer Bilder zurück. Doch auch hier deckten Untersuchungen eine große Vielfalt auf. Kinder stellen sich Gott nicht zwingend menschenähnlich vor und es lässt sich biographisch auch keine lineare Entwicklung hin zu nicht anthropomorphen Gottesbildern belegen.
Welch unterschiedliche Gottesbilder Erwachsene in sich tragen, zeigen die anhaltenden Diskussionen um die Vereinbarkeit von Zen und christlichem Glauben. Ist Gott "alles in allem", ist somit in Gott auch die Welt enthalten, oder ist Gott ein ansprechbares Du, ein personales Gegenüber? Ist Gott "Eines" oder "Alles" oder "Nichts" und "Leere" - oder sind schon solche Alternativen falsch gestellt?
Auch in der Kontroverse um die Deutung von Jesu Tod geht es um das Gottesbild. Wer den Kreuzestod als Sühnopfer versteht, mit dem Gott versöhnt werden konnte, denkt sich Gott anders als der, der im Tod Jesu das "Leiden des Gerechten" sieht, das dieser im Vertrauen auf Gott auf sich genommen habe. Ausdrücklich oder nicht, bei theologischen Fragen steht immer auch das Gottesbild auf dem Spiel: Warum das Elend und das Böse unserer Welt? Respektiert Gott die Naturgesetze? Ist Homosexualität gottgewollt und gut? Wie steht Gott zur Ordination von Frauen? Erlauben die Gemeinsamkeiten im Gottesbild von Christen und Muslimen ein gemeinsames Gebet?
Auch Atheisten haben Gottesbilder
Gottesbilder beschränken sich nicht auf Gottgläubige. Welches Bild haben erklärte Atheisten von dem Gott, an den sie nicht glauben? Ein Kosmologe, der an Gott nicht glaubt, weil er ihn für sein Weltentstehungsmodell nicht benötigt, denkt sich Gott anders als die Theologin, für die Gott Quelle allen Lebens ist, aber nicht physikalischer Lückenbüßer. "Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Hör auf, Dich zu beunruhigen und genieß Dein Leben (There is probably no God. Stop worrying and enjoy your life)", war auf Bussen in Großbritannien zu lesen. Mit Gott ist hier das Bild eines strafenden Gottes verbunden, der Angst einflößt und die Lebensfreude verdirbt.
Das Gottesbild, das damit gottgläubigen Menschen unterstellt wird, trägt infantile und fundamentalistische Züge. Es dürfte wenig mit dem Gottesbild der meisten Christinnen und Christen unter uns gemein haben. So wecken etwa befreiungstheologisch inspirierte Gottesbilder keine Angstgefühle, sondern sind Protest- und Hoffnungsbilder inmitten einer von Machtmissbrauch und Gewalt gezeichneten Welt.
Schon die Bibel spricht in sehr unterschiedlichen, ja widersprüchlich erscheinenden Bildern von Gott. Eingeprägt haben sich vor allem die Bilder von Gott als König, als Herrscher, als Vater und als Richter. Doch Gott erscheint in den biblischen Texten auch als Quelle oder als versiegender Bach, als Feuer und als Wolke, als Arzt und als Bärin, als Mutter und stillende Amme, als Licht und als Liebe. Einige der biblischen Gottesbilder sind allgemein geläufig und finden in Gebet und Liturgie bevorzugt Verwendung, andere werden kaum beachtet.
Durchgesetzt haben sich vor allem die Gottesbilder, die sich bequem den jeweiligen Machtverhältnissen fügten und diese legitimieren sollten. Dank der feministischen Theologie werden heute die weiblichen Bilder von Gott wieder erinnert und gewürdigt. Die Dominanz männlicher Gottesbilder kann dies bislang nicht verhindern. Dazu verleitet schon das maskuline Wort "Gott".
Gott ist unverfügbar
Viele biblische Erzählungen irritieren das Bild einer harmlosen und "lieben" Gottheit. Welches Bild von ihr steht hinter der fast vollzogenen Schlachtung Isaaks? Hinter dem Kampf Jakobs mit Gott am Jabbok? Hinter dem betlehemitischen Kindermord, Jesu Rede vom Weltgericht und den apokalyptischen Visionen am Ende der Bibel? Die Vielzahl biblischer Gottesbilder ist dazu angetan, jedes einzelne Gottesbild in Frage zu stellen. Gott ist unverfügbar.
Dies ist schon Intention des biblischen Bilderverbots: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Abbild machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!" (2. Mose 20,4 f). Dieses Verbot, das heute meist als Kultbildverbot gedeutet wird, stellt klar, dass Gott durch menschliche Schöpfungen nicht verfügbar gemacht werden kann.
Gott entzieht sich souverän allen menschlichen Manipulationen und Instrumentalisierungen. Dem hebräischen Wortlaut nach ist im Bilderverbot nur von materiellen Gebilden die Rede, aber es gibt auch sprachliche und gedankliche Bilder, die versuchen, Gott verfügbar zu machen. Menschen küssen Kälber (Hosea 13,2), spottet der Prophet Hosea. Dieser Spott gilt allen Menschen, die sich heute an Katechismen, Dogmen oder ihr ganz persönliches Gottesbild klammern und darüber vergessen, dass dies alles armseliges Menschenwerk ist, demgegenüber Gott der Andere ist und bleibt.
Auch Jesus spricht von Gott und Gottes Herrschaft nur in metaphorischer Sprache. Mehr noch: In seinem Sterben erlebt Jesus, dass Gott nicht da ist. Gott erweist sich für Jesus als unverfügbar - das ist nicht zu begreifen. Die vielstimmige biblische Rede von Gott kann nicht in einem Gottesbild zusammengeführt werden. Sie fordert "einen Denk- und Redestil, der Front macht gegen Gottesbilder, die nicht die radikale Andersheit und Unverzweckbarkeit Gottes zur Geltung bringen" (Hans-Joachim Höhn).
Obwohl in der Geschichte des Christentums immer wieder versucht wurde, Gott auf bestimmte Bilder festzulegen und in theologischen Systemen spekulativ auf den Begriff zu bringen, blieb die Mahnung des Bilderverbots im Gedächtnis. "Wenn du begreifst", schrieb Augustinus, "ist es nicht Gott." Was wir begreifen können, kann nicht Gott sein, weil Gott sich jedem Begreifen unvermeidlich entzieht. Alle unsere Bilder von Gott sind letztlich der menschlichen Erfahrungswelt entnommen.
Menschliche Erfahrungswelt
Aber Gott ist nicht das, was wir uns unter Liebe, Güte und Barmherzigkeit vorstellen. Darum müssen wir unsere Gedankenbilder übermalen, zurückholen. "Du sollst Gott lieben, wie er ist", heißt es bei Meister Eckhart, "ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, ein Nicht-Bild." Der kritische Einspruch derartiger "negativer" Theologie nimmt tradierten Glaubensvorstellungen und Gottesbildern ihre anschauliche Naivität und lässt sie wieder als das verständlich werden, was sie immer waren: Hilflose Versuche, auszudrücken, was zum Ausdruck drängt und sich doch jeder Darstellung entzieht.
Auf fürchterliche Weise offenbart Auschwitz, dass Gott sich allen Bildern verweigert. Mussten Gottgläubige nicht erwarten, dass ein guter und allmächtiger Gott diesem Grauen ein Ende setzt? "Doch kein rettendes Wunder geschah; durch die Jahre des Auschwitz-Wütens schwieg Gott", schrieb der jüdische Philosoph Hans Jonas. "Gott ließ es geschehen. Was für ein Gott konnte es geschehen lassen?" Welches Bild von Gott soll angesichts von Auschwitz und der himmelschreienden Not unserer Welt noch möglich sein?
Gott, der sein Volk der Vernichtung überlässt? Gott, den all das Elend der Menschen nicht rührt? Gott, der Auschwitz geschehen lässt, um seinen Plan mit der Welt ans Ziel zu führen? Gott, der in grenzenloser Liebe das Grauen mit ansieht, ohne ihm wehren zu können? Wäre dieser Gott noch Gott? Wäre dieser ohnmächtig Liebende und Leidende nicht das Ende jeden Trostes und jeder Hoffnung? Zertrümmern diese unvermeidlichen Fragen nicht jedes Gottesbild?
Irritierender und verstörender als je zuvor ist der gegenwärtigen Theologie die Unverfügbarkeit und Ungeheuerlichkeit des bildlosen Gottes bewusst. Wir sind in ganz wörtlichem Sinn zur Revision aller Gottesbilder genötigt.
Moderne Kunst bringt das Fehlen Gottes zum Ausdruck
Die Anerkennung der unüberwindlichen Grenzen des eigenen Gottesbildes kann das Gespräch zwischen den Religionen beleben. Dies besagt keine Verleugnung eigener Vorstellung und Position. Aber die Einsicht in das Ungenügen des eigenen Gottesbildes eröffnet neue Chancen für einen ernsthaften interreligiösen Austausch: Es ist möglich, dass das eigene Gottesbild durch das fremde korrigiert wird.
Einer Theologie, deren Gottesbilder fraglich und brüchig geworden sind, eröffnen sich neue Zugänge zu moderner Kunst und Literatur. "Gerade die moderne Kunst", schreibt der Theologe Jürgen Ebach, "könnte darin, dass sie gegen Verfestigungen, eingefahrene Sehgewohnheiten, Definitionen aller Art streitet, dem Bilderverbot treu sein." Manche Werke moderner Kunst und Literatur bringen das Fehlen Gottes zum Ausdruck, ohne den Bereich des Nichtdarstellbaren und Unsagbaren aufzugeben. Vielleicht sind es "die Negativen Theologen unter den Künstlern und Schriftstellern, die das Widerständige, Ungeheure und Schöne an Gott betonen und ihn seiner Verharmlosung entreißen" (Christian Geyer).
Die Nichtdarstellbarkeit des Göttlichen wirkt zurück auf das Bild von uns selbst. Nicht nur Gottes Wesen ist Menschen verborgen, sondern auch unser eigenes Wesen bleibt unergründlich. Wenn die Bibel vom Menschen als "Bild Gottes" spricht, so ist dies keine Aussage über das Wesen des Menschen, sondern über seine Aufgabe. Als Bild Gottes ist der Mensch Repräsentant Gottes auf Erden und damit verantwortlich für die Gestaltung der Welt.
Diese Verantwortung ist die Kehrseite des Bilderverbots: Der Unverfügbarkeit Gottes korrespondiert die Verantwortung des Menschen. In diesem Sinn würdigte schon Dietrich Bonhoeffer die Mündigkeit des Menschen und kritisierte die Gottesvorstellung eines Deus ex machina, an den sich der Mensch in seiner Not wendet und von dem er die Lösung der ihm selbst übertragenen Aufgaben erwartet.
Gottesbilder und Bilderverbot bleiben dialektisch aufeinander bezogen: Wir haben und brauchen Gottesbilder. Doch Gottesbilder sind Ausdruck der Erfahrungen von Menschen und somit menschliches Machwerk. Das biblische Kultbildverbot entlarvt jedes Gottesbild, das versucht, Gewalt und Krieg als Willen Gottes zu maskieren: sei es Krieg gegen Kinder, Krieg gegen Frauen, Krieg gegen Flüchtlinge, Krieg gegen Andersgläubige, Krieg um Reichtum, um Öl oder Wasser, um Kapital und Herrschaft, oder was auch immer. Die menschliche Gestaltung unserer Welt ist nach biblischem Zeugnis gottgewollte menschliche Aufgabe. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf unsere Gottesbilder.
Andreas Benk ist Theologieprofessor an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. LITERATUR:
Andreas Benk: Zum Gottesbild der Gegenwart. Patmos Verlag, Düsseldorf 2008, 215 Seiten, Euro 19,90.
Andreas Benk